Seit dem frühen Montag verbreiteten israelische Medien die neueste Nahost-Sensation. Gut drei Stunden habe die hochgeheime Stippvisite von Benjamin Netanjahu gedauert, der als erster Regierungschef in der Geschichte Israels saudischen Boden betrat. Angereist aus Tel Aviv mit dem Gulfstream-Jet eines israelischen Geschäftsmannes seien Netanjahu und Mossad-Chef Yossi Cohen am Sonntagabend auf dem Gelände der Zukunftsstadt "Neom" am Golf von Aqaba mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und US-Außenminister Mike Pompeo zusammengekommen. Thema des Gespräches war nach Informationen des „Wall Street Journal“ die Normalisierung der Beziehungen sowie die Bedrohung durch Iran, was sich auf zwei hochrangige saudische Berater berief.

Am Nachmittag jedoch dementierte der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan auf Twitter. „Es gab kein solches Treffen“, schrieb er. Er habe Pompeo die ganze Zeit begleitet. An den Gesprächen in Neom hätten nur saudische und amerikanische Delegationsmitglieder teilgenommen. Netanjahu und das US-Außenministerium dagegen hüllten sich in Schweigen.

Erst zwei Monate ist es her, dass die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain als erste Golfstaaten ihre Beziehungen zu Israel normalisierten. Ende Oktober folgte auf massiven amerikanischen Druck auch der Sudan. Dagegen hatten in den vier Jahrzehnten zuvor mit Ägypten 1979 und Jordanien 1994 lediglich zwei arabische Staaten Botschaften in Israel eingerichtet. In beiden Vorläufernationen existieren bis heute starke Aversionen der Bevölkerung gegen die Friedensabkommen.

Wechsel an der Spitze

Zu Saudi-Arabien wird es volle diplomatische Beziehungen wohl erst geben, wenn der alte König Salman gestorben ist, der nach wie vor auf eine „permanente und faire Lösung“ für die Palästinenser pocht. Solange der 84-Jährige das Zepter in der Hand hält, bleibt es bei Riyadhs offizieller Position der traditionellen Loyalität gegenüber den Palästinensern. Zu groß sind die Widerstände in der eigenen Bevölkerung und zu brisant der Vorwurf der beiden muslimischen Hauptrivalen Türkei und Iran, ausgerechnet die saudischen Treuhänder der heiligsten Stätten Mekka und Medina würden ihre palästinensischen Glaubensbrüder verraten.

Bis zu einem Thronwechsel muss sein 35-jähriger Sohn Mohammed bin Salman daher die Verbindungen zu Israel auf anderen Feldern ausbauen. Und so nutzte er, während sein königlicher Vater am Wochenende mit dem G20-Videogipfel beschäftigt war, die Gelegenheit für das spektakuläre Treffen mit Netanjahu in seinem Prestigeprojekt Neom. 500 Milliarden Dollar will der Kronprinz in dieses Vorhaben der Superlative am Roten Meer investieren. Zusammen mit Ägypten und Jordanien soll eine klimaneutrale Megacity entstehen mit Robotern, fliegenden Taxis und künstlichem Regen. Angesiedelt werden sollen Unternehmen aus Zukunftsbranchen - Energie und Wasser, Biotechnologie und Cybertechnik, Mobilität und Städtebau. Für diese hochfliegenden Zukunftspläne braucht Riyadh neben viel Geld auch ausländisches Spitzen-Knowhow. Israel als IT-Großmacht direkt nebenan wäre ein idealer Partner, auch als Lieferant für Spähsoftware gegen Regimekritiker.

Daneben möchte der saudische Kronprinz mit seinem Masterplan „Vision 2030“ groß in den Tourismus einsteigen und eines Tages auch zahlungskräftige israelische Urlauber anlocken. Dazu will die Wüstenmonarchie ihre 1700 Kilometer lange Korallenküste am Roten Meer international vermarkten. Hier sollen – wie am gegenüberliegenden Ufer in Ägypten – drei große Badeorte entstehen, in denen keine islamischen Moralvorschriften mehr gelten – also mit Alkoholausschank und baden im Bikini. Die Vereinigten Arabischen Emirate, wichtigster Golf-Konkurrent im Luxus-Feriengeschäft, wollen bereits im März 2021 eine direkte Flugverbindung von Abu Dhabi nach Tel Aviv eröffnen. Der Billigflieger flydubai plant für israelische Touristen das Gleiche zwischen der Glitzermetropole Dubai und Tel Aviv. Auch Marokko, das noch eine größere jüdische Bevölkerung hat, erwägt nach Presseberichten in absehbarer Zeit Direktflüge nach Israel.