Konfliktherd Bergkarabach: Nach der unter Vermittlung Russlands ausgehandelten Waffenruhe mit Aserbaidschan steht Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan in der Kritik. Vielfach wird ihm Verrat vorgeworfen.

Das Abkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan sieht vor, dass beide Länder in Bergkarabach die Gebiete behalten können, über die sie derzeit die Kontrolle haben. Für Armenien bedeutet das allerdings große Verluste, da Aserbaidschan während der wochenlangen Gefechte große Teile der Südkaukasus-Region erobern konnte. Am Wochenende wurde wieder heftig gegen Armeniens Regierungschef in Eriwan demonstriert, und  sogar ein angeblicher Putschversuch gegen Paschinjan soll vereitelt worden sein.

Armeniens Sicherheitsdienste haben nach eigener Darstellung einen Anschlag auf Regierungschef Nikol Paschinjan vereitelt. Der Geheimdienst NSS erklärte, drei Personen seien festgenommen worden.

Geplanter Anschlag

Wie es hieß, wurde zudem ein Waffenlager ausgehoben. Demnach sei ein Anschlag auf Paschinjan und eine "anschließende Machtübernahme" geplant gewesen, da diese Gruppe mit der Innen- und Außenpolitik des Regierungschefs nicht einverstanden gewesen sei. Zu den Festgenommenen gehören den Angaben zufolge der ehemalige Geheimdienst-Chef Artur Vanetsjan und der ehemalige Fraktionschef der Republikaner im Parlament, Vahram Baghdasarjan.

Seit 100 Jahren bildet Bergkarabach einen Konfliktherd zwischen Armenien und Aserbaidschan. 1920 wurde die mehrheitlich von christlichen Armeniern besiedelte Region zu einem autonomen Gebiet innerhalb der von muslimischen Aseris dominierten Aserbaidschanischen Sowjetrepublik.

1991 erklärten Armenien und Aserbaidschan ihre Unabhängigkeit. Kurz darauf machte sich auch Bergkarabach selbstständig. 1992 kam es zum offenen Krieg zwischen armenischen und aserbaidschanischen Freischärlern, in den 1993 die armenische Armee eingriff. Nach 40.000 Toten und einer Million Vertriebenen wurde 1994 ein Waffenstillstand vereinbart. Doch Frieden herrschte nie. Die jüngsten Kriegsereignisse waren allerdings schlimm wie seit den 1990er-Jahren nicht mehr.

Mit 30.000 Quadratkilometern ist Armenien etwa so groß wie Belgien. Das christliche Land ist umgeben von islamisch geprägten Staaten. Die Kriege der Vergangenheit waren auch religiös bedingt, sie belasten bis heute die Beziehungen zu den Nachbarn Aserbaidschan und Türkei. Die Grenzen zu diesen Nachbarn sind geschlossen.

Politologe Aleksander Iskandarjan erklärte uns in Eriwan einmal die Hintergründe für die Sehnsucht der ehemaligen Sowjetrepublik nach Russland: „Schaut auf unsere Landkarte! Wenn du in dieser Region Sicherheit haben willst, geht es nicht ohne Russland.“ Russland ist laut Iskandarjan, der Chef des Kaukasus-Instituts ist, der wichtigste Lieferant, Investor und die Garantiemacht für militärische Sicherheit. „Wir liegen am Rand Europas. Wir grenzen nicht an Österreich oder die Schweiz. Wir haben schwierige Nachbarn, mit einer gemeinsamen schwierigen Geschichte“, sagte der Politologe.

Hoffnungsträger

Hoffnung brachte zwischendurch Nikol Paschinjan. Er war einer der führenden Köpfe der Samtenen Revolution in Armenien im Jahr 2018, weil er verprach, mit der korrupten Elite aufzuräumen. Der 1975 Geborene hatte auch einen starken Rückhalt in der Bevölkerung, bei den Wahlen im Dezember 2018 erhielt er mehr als 70 Prozent der Stimmen. In Armenien versucht Paschinjan seither tatsächlich, die Korruption zu reduzieren und die Wirtschaft zu liberalisieren, mit ersten Erfolgen.

Doch Paschinjans Reaktion auf den Bergkarabach-Konflikt grenzt für viele an Verrätertum.

Im Dorf Charektar im zu Bergkarabach gehörenden Bezirk Kalbajar zündeten armenische Bewohner am Wochenende ihre Häuser an. Die Armenier begründeten laut AFP dieses Handeln damit, dass die Häuser nicht aserbaidschanischen Soldaten in die Hände fallen sollen.

Eine armenische Vertriebene
Eine armenische Vertriebene © AP
Auch sie müssen gehen
Auch sie müssen gehen © AP