Die ehemalige First Lady Michelle Obama besaß unbestritten die größte Strahlkraft des ersten Tages bei dem Parteitag der US-Demokraten, doch der Abend gehörte eigentlich Bernie Sanders. Der besonders bei Parteilinken und jungen Demokraten populäre Senator aus Vermont wollte seine Anhänger darauf einschwören, am 3. November den Kandidaten Joe Biden mitzutragen. Es geht beim Nomierungsparteitag in Wilmington (Delaware) um Geschlossenheit der demokratischen Partei, denn nur so dürfte es überhaupt gelingen, dem amtierenden US-Präsidenten Donald Trump bei den Wahlen überhaupt gefährlich zu werden. Sanders genoss dafür den vorletzten Redeplatz unmittelbar vor der Botschaft von Michelle Obama zum Abschluss des Eröffnungstages. Und es war auch Sanders große Chance, seine - für amerikanische Ohren - fast sozialistischen Ideen für einen Sozialstaat in die Parteilinie einzubringen. Immerhin hatte er bis zum Ende des Vorwahlkampfs vor allem jüngere Demokraten mit seiner Vorstellung von Amerika elektrisiert und sich zu Beginn des Nominierungsprozesses sogar ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen mit Biden geliefert.

Sanders flehte seine Anhänger am Abend an, den Kandidaten der Demokraten im November zu unterstützen oder zu riskieren, dass "alle Fortschritte, die wir gemacht haben" in Zweifel gezogen werden. "Unsere Kampagne endete vor einigen Monaten, aber unsere Bewegung geht weiter und wird jeden Tag stärker", unterstrich Sanders. "Viele der Ideen, für die wir gekämpft haben und die noch vor wenigen Jahren als radikal angesehen wurden, sind heute Mainstream. Aber lassen Sie uns eines klarstellen. Wenn Donald Trump wiedergewählt wird, sind alle Fortschritte, die wir gemacht haben, in Gefahr", sagte Sanders.

Warnung vor dem Ende der Demokratie

Wie schon während des gesamten Wahlkampfes äußerte Sanders auch die Sorge, dass der Aufstieg von Trump denjenigen der autoritären Führer der Vergangenheit entsprach. "Ich und meine Familie und viele von Ihnen wissen, auf welch heimtückische Weise der Autoritarismus Demokratie, Anstand und Menschlichkeit zerstört", sagte Sanders. "Solange ich hier bin, werde ich mit Progressiven, Gemäßigten und, ja, mit Konservativen zusammenarbeiten, um diese Nation vor einer Bedrohung zu bewahren, für deren Niederlage so viele unserer Helden gekämpft haben und gestorben sind".

Bernie Sanders
Bernie Sanders © (c) AP

Sanders zielte dabei direkt auf Trumps Umgang mit der Corona-Pandemie und kritisierte die Weigerung des Präsidenten, mit den Demokraten zusammenzuarbeiten, die sich um die Ausweitung der erhöhten Arbeitslosenunterstützung und anderer Hilfen für Arbeitnehmer und schwer betroffene Gemeinden bemühen. "Millionen von arbeitenden Familien fragen sich, wie sie ihre Kinder ernähren werden, und sie sind besorgt, dass sie aus ihren Häusern vertrieben werden", sagte Sanders. "Und wie hat Trump darauf reagiert? Anstatt die Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 600 Dollar pro Woche beizubehalten, die die Arbeiter erhielten, und die 1200 Dollar Notfallschecks, die viele von Ihnen erhielten, anstatt kleinen Unternehmen zu helfen, hat Trump betrügerische Verordnungen ausgeheckt, die praktisch nichts zur Bewältigung der Krise beitragen und gleichzeitig die Zukunft der Sozialversicherung und des Gesundheitswesens selbst bedrohen." "Nero kungelte, während Rom brannte", sagte der Senator von Vermont. "Trump golfte."

Michelle Obama ruft zu Geschlossenheit auf

Eine der zentralen Botschaften des ersten Abends lautete allerdings, dass Biden als Präsident für Gerechtigkeit, gegen systematischen Rassismus und für die Einheit des Landes eintreten würde. Deshalb appellierte zum Abschluss die First Lady dann an den Zusammenhalt im Land: "Wir leben in einer Nation, die tief gespalten ist, und ich bin eine schwarze Frau, die auf dem Demokratischen Konvent spricht. Aber genug von Ihnen kennen mich inzwischen. Sie wissen, dass ich Ihnen genau sage, was ich fühle. Sie wissen, dass ich Politik hasse. Aber Sie wissen auch, dass ich mich um diese Nation sorge", sagte Michelle Obama.

"Sie wissen, wie sehr ich mich um all unsere Kinder sorge. Wenn Sie also meinen Worten heute Abend eines entnehmen können, dann dies: Wenn Sie glauben, dass die Dinge unmöglich noch schlimmer werden können, vertrauen Sie mir, sie können es; und sie werden es werden, wenn wir bei dieser Wahl keine Veränderung herbeiführen. Wenn wir irgendeine Hoffnung haben, dieses Chaos zu beenden, dann müssen wir für Joe Biden stimmen, da unser Leben davon abhängt", fuhr sie fort. Und sagte schließlich: "Wenn Sie glauben, dass die Dinge nicht schlimmer werden können, vertrauen Sie mir, sie können es."

Sie warf Trump "einen totalen und völligen Mangel an Einfühlungsvermögen" vor und verurteilte seine Amtsführung auf das Schärfste. "Gerade jetzt sehen die Kinder in diesem Land, was passiert, wenn wir aufhören, Einfühlungsvermögen voneinander zu verlangen. Sie schauen sich um und fragen sich, ob wir sie die ganze Zeit darüber angelogen haben, wer wir sind und was wir wirklich schätzen", sagte die ehemalige First Lady.

George Floyds Brüder

Zuvor waren zwei Brüder des bei einem brutalen Polizeieinsatz getöteten Afroamerikaners George Floyd aufgetreten. George sollte heute leben, beklagte Philonise Floyd in einer Videobotschaft. Er rief zur Schweigeminute für die vielen auf, die als Folge von Hass und Ungerechtigkeit gestorben seien. Floyds Tod Ende Mai in Minneapolis hatte landesweite Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst. Wegen der Corona-Pandemie halten die Demokraten ihren viertägigen Nominierungsparteitag weitgehend virtuell ab. Jeden Tag wird zwei Stunden lang ein Programm übertragen, das am Montag einer Fernsehshow glich, zu der zahlreiche prominente Demokraten und Bürger teils live zugeschaltet wurden. Die Schauspielerin Eva Longoria Bastón führte durch das Programm.

Rpublikaner stellen sich auf die Seite Bidens

Auch mehrere Republikaner haben sich im US-Wahlkampf hinter den designierten Präsidentschaftskandidaten Biden gestellt. "Ich bin ein lebenslanger Republikaner, aber diese Verbundenheit steht an zweiter Stelle hinter meiner Verantwortung für mein Land", sagte der ehemalige Gouverneur von Ohio, John Kasich, im Rahmen des Parteitags der Demokraten. Amerika befinde sich an einem Scheideweg, es drohten "schreckliche Konsequenzen", wenn man den bisherigen Weg unter US-Präsident Donald Trump weitergehe. Biden sei der "Mann unserer Zeit" könne das Land zusammenbringen, so Kasich. Neben Kasich sagten die frühere Gouverneurin von New Jersey, Christine Whitman, die Managerin und Ex-CEO des IT-Unternehmens Hewlett Packard, Meg Whitman, und die frühere Abgeordnete Susan Molinari Biden ihre Unterstützung zu. Außerdem hatte sich Miles Taylor, der unter Trump Stabschef des Heimatschutzministeriums war, öffentlich hinter Biden gestellt und Trump vorgeworfen, der nationalen Sicherheit aktiv zu schaden.