Die Wahlkommission in Weißrussland (Belarus) hat Staatschef Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der 65-Jährige habe 80,23 Prozent der Stimmen bei dem Urnengang am Sonntag erzielt, teilte Wahlleiterin Lidija Jermoschina am Montag in Minsk als vorläufiges Ergebnis mit. Lukaschenkos Gegnerin, Swetlana Tichanowskaja, kam demnach nur auf 9,9 Prozent der Stimmen.

Sie kündigte bereits an, eine Niederlage nicht anzuerkennen. Ihre Unterstützer hatten nachts zu Tausenden gegen Lukaschenko und Wahlfälschungen protestiert. Es gab viele Verletzte und Festnahmen. Laut Bürgerrechtlern wurde bei den Protesten ein Mensch getötet. Die Wahlbeteiligung in der zwischen dem EU-Mitglied Polen und Russland gelegenen Ex-Sowjetrepublik lag nach Angaben der Wahlleitung bei 84 Prozent der rund 6,8 Millionen Stimmberechtigten. Lukaschenko regiert das Land seit 1994 autoritär.

Internationale Beobachter waren zu der Abstimmung übrigens nicht zugelassen. Schon die vergangenen vier Urnengänge in der ehemaligen Sowjetrepublik wurden wegen Betrugs und Einschüchterungen von unabhängigen Beobachtern nicht anerkannt.

Befragt wurden den Angaben nach mehr als 12.000 Wahlberechtigte nach dem Urnengang. 30 Prozent von ihnen hätten keine Antwort geben wollen, hieß es. Unabhängigen Nachwahlbefragungen im Ausland zufolge soll Tichanowskaja 71 Prozent geholt haben, Lukaschenko erhielt demnach zehn Prozent. In Moskau kam es am Abend zu spontanen Protesten Hunderter Lukaschenko-Gegner. Sie riefen "Hau ab!"

Report: Was am Wahltag wirklich geschah

Gekämpft wurde um jede Stimme. Ein Wähler, der ein weißes Armbändchen trug, das Erkennungszeichen der Opposition, bekam einen Wahlzettel, auf dem ein Kästchen mit einem Nadelstich markiert war. „Wenn jemand auf so einem Blatt sein Kreuz macht“, warnt der Wahlbeobachter Sergei R. per Messenger, „erklären sie seine Stimme für ungültig.“

Die Präsidentschaftswahlen in Weißrussland arteten am Sonntag in ein ungleiches Ringen zwischen Staatsmacht und Opposition aus. Drei der vier Kandidaten, die gegen Staatschef Alexander Lukaschenko antraten, gelten als Statisten. Aber Swetlana Tichnowskaja, die anstelle ihres verhafteten Mannes Sergei kandidierte, mobilisierte bei ihren Wahlkampfauftritten wiederholt zehntausende Weißrussen.

Swetlana Tichanowskaja
Swetlana Tichanowskaja © AP

Auch vor den Wahllokalen bildeten sich am Sonntag hundert Meter lange Schlangen. Die Online-Plattform „Stimme“ rief die Wähler auf, ihr Fotos der ausgefüllten Stimmzettel zu senden, um eine parallele Auszählung zu organisieren. Eine ihrer Webseiten wurde aber von Hackern gekapert.

Das Oppositionsportal "Chartija 97" appellierte an die Weißrussen, sich am Abend vor den Wahllokalen zu versammeln, um die Auszählung zu kontrollieren. Das vorläufige Wahlergebnis wird Montagnachmittag erwartet, spätestens danach könnten Proteste wie Verhaftungen massenhaft werden. Schon am Wahltag meldete die Opposition die Festnahme von acht Tichanowskaja-Mitarbeitern und 28 Wahlbeobachtern.

Virtueller Kampf

Es ist auch ein virtueller Kampf. Samstagnacht nahm die Polizei den Koordinator der etwa 4000 unabhängigen Wahlbeobachter fest, die die 715 Wahllokale in Minsk kontrollieren. Wenig später löschten Unbekannte fast sämtliche Chats der Gruppen im Messengerdienst Telegram. Die Mitglieder eines der letzten funktionierenden Chats berichteten von Bereitschaftspolizisten, die weitere Beobachter in einen Polizeibus schleppten oder von Kleinbussen, in denen Mehrfachwähler unterwegs seien. Und die Verkäuferinnen eines Kuchenstandes in einem Wahllokal hätten Befehl erhalten, am Wahltag bis 17.30 Uhr zu verschwinden. Das rieche nach Wahlbetrug bis zur Schließung der Wahllokale um 20 Uhr. „Wir befürchten, sie schalten in ganz Weißrussland das Internet ab“, sagte die Aktivistin Xenia der Kleinen Zeitung, „Vielleicht sogar den Strom.“

Seit einem Vierteljahrhundert an der Macht: Alexander Lukaschenko
Seit einem Vierteljahrhundert an der Macht: Alexander Lukaschenko © AFP

Die Wahlbehörden hatten schon bei den fünftägigen Vorwahlen kein Hehl aus ihrer Taktik gemacht: möglichst wenig Öffentlichkeit. Unabhängige Wahlbeobachter wurden meist auf die Straße gesetzt. Und nach Angaben des TV-Kanals Belsat standen die Leute noch am späten Sonntagnachmittag Schlange vor Minsker Wahllokalen, in denen angeblich bereits fast 100 Prozent abgestimmt hatten.

Die Wahlbeobachtungsgruppe „Ehrliche Leute“, veröffentlichte ein Audio, wo die Besatzung eines Wahllokals im Minsker Wahllokal 48 die Bekanntgabe des Endergebnisses probt. „Ihr kennt eure Zahlen“, erklärt die Vorsitzende, „lernt sie auswendig so gut es geht“. Danach sollte Tichanowskaja 102, Lukaschenko aber 952 Stimmen erhalten. Die Vorsitzende warnte auch vor Menschenaufläufen und versprach im Notfall den Einsatz von Sondereinheiten der Polizei.
Aber auch auf Oppositionsseite  herrschte Nervosität: Veronika Zepkalo, eine der engsten Mitstreiterinnen Tichanowkajas, flüchtete nach Moskau.

Die Oppositionsführerin selbst sagte nach ihrer Stimmabgabe, sie hoffe auf faire Wahlen. Wenn das Volk wirklich für Lukaschenko stimme, werde sie das akzeptieren. Lukaschenko dagegen nannte Tichanowskaja eine Versagerin und beschimpfte ihre Anhänger: „Sie sind es gar nicht wert, gegen sie Repressalien einzusetzen“.
Im Minsker Zentrum standen am Wahlsonntag Busse voller Einsatzpolizisten, an den Zufahrtsstraßen nach Minsk aber parkten demonstrativ Kampf-Jeeps der weißrussischen Armee. 

Das lange Warten vor den Wahllokalen
Das lange Warten vor den Wahllokalen © AP