Polens Präsident Andrzej Duda muss laut Nachwahlbefragung in die Stichwahl gegen den Liberalen Rafal Trzaskowski. Um 21 Uhr schlossen die Wahllokale. Amtsinhaber Duda kam laut Exit Polls auf 41,8 Prozent, Trzaskowski landete demnach mit 30,4 Prozent auf Platz zwei. Experten räumen dem Warschauer Bürgermeister Trzaskowski durchaus Chancen ein, in der zweiten Runde am 12. Juli gegen Duda zu siegen. +++Mehr in Kürze+++

Hintergrund zur Präsidentenwahl in Polen 

Polens rechtskonservative PiS-Regierung steuert auf innere Machtkämpfe und schwierige Zeiten zu. Das zeigte sich noch einmal pünktlich zur ersten Runde der Präsidentschaftswahl am Sonntag. „Wenn Rafal Trzaskowski gewinnt, ist das überhaupt keine Katastrophe“, erklärte der ehemalige Vizepremier Jaroslaw Gowin in einem letzten Interview vor der Abstimmung. Die Aussage war eine kleine Sensation. Denn Gowin gehört dem Regierungsblock an. RafalTrzaskowski dagegen ging am Sonntag für die Opposition ins Rennen. Der liberale Warschauer Oberbürgermeister galt als aussichtsreichster Herausforderer von Amtsinhaber und PiS-Kandidat Andrzej Duda. Vor Schließung der Wahllokale am späten Abend deutete alles darauf hin, dass sich die beiden 48-jährigen Politiker am 12. Juli in einer Stichwahl messen werden.

Anders als Gowin sieht PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski eine Niederlage Dudas sehr wohl als Katastrophe an. Denn der Präsident verfügt in Polen zwar nur über begrenzte Befugnisse. Er hat einige außenpolitische, aber kaum innenpolitische Gestaltungsmöglichkeiten. Mit seinem Veto, das nur von drei Fünfteln des Parlaments überstimmt werden kann, kann er die Regierungspolitik aber ausbremsen oder sogar zum Stillstand bringen. Erst recht würde das für Kaczynskis Masterplan gelten. Der PiS-Chef will Polen in eine neue, eine antiliberale Vierte Republik verwandeln, in der Patriotismus und Katholizismus die Leitplanken der Politik sind. Dass Gowin nun die Hand in Richtung Trzaskowski ausstreckte, werteten Kommentatoren in Warschau deshalb als weiteren Hinweis auf die Erosion des rechtskonservativen Regierungslagers - mitten in einer laufenden „Wahlschlacht“.

Amtliche Ergebnisse erst am Montag

Mit amtlichen Ergebnissen wurde zwar erst am Montag gerechnet. Die große Bedeutung der Abstimmung ließ sich aber bereits am Sonntag am Andrang vor den Wahllokalen ablesen. Trotz des landesweiten Ferienbeginns am Freitag und der anhaltenden Corona-Pandemie bildeten sich schon am Morgen teils lange Schlangen. Das hatte zwar vor allem mit den geänderten Regeln für die Abstimmung unter Corona-Bedingungen zu tun. Einlass fanden jeweils nur so viele Menschen, dass sich bei geltender Maskenpflicht nicht mehr als eine Person auf vier Quadratmetern bewegen musste. Zudem wurden Tische, Kabinen und Wahlurnen regelmäßig desinfiziert. Aber auch die rekordverdächtig hohe Wahlbeteiligung spielte eine Rolle. Sie lag am frühen Nachmittag um zehn Prozentpunkte über dem Wert vor fünf Jahren.

Dagegen nutzten überraschend wenige Bürger die neu eingeführte Möglichkeit zur Briefwahl, die in Polen bislang nur für Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestanden hatte. Gerade einmal 150.000 Anträge gingen bei der Staatlichen Wahlkommission ein. Das waren 0,5 Prozent der 30 Millionen Stimmberechtigten. Nach Einschätzung vieler Kommentatoren sprach daraus vor allem Misstrauen gegenüber den Behörden. Dazu wiederum trug nicht zuletzt der heftige Streit bei, der dieser ungewöhnlichen, in der polnischen Geschichte beispiellosen Wahl vorausging. Denn ursprünglich war die Abstimmung für den 10. Mai terminiert gewesen. Doch der Ausbruch der Corona-Pandemie im März wirbelte nicht nur den Zeitplan durcheinander, sondern auch die politischen Kräfteverhältnisse.

Die Hauptrolle dabei spielte jener Jaroslaw Gowin, der nun dezent von Amtsinhaber Duda abrückt und auf Oppositionskandidat Trzaskowski zugeht. Innerhalb der Regierungsfraktion führt Gowin eine Gruppe von 18 Abgeordneten an, die zwar streng wertekonservativ sind, aber mit der autoritären Politik von PiS-Chef Kaczynski hadern. Im Streit um die Präsidentenwahl trat Gowin als Vizepremier zurück, setzte im Gegenzug aber einer Verschiebung der Abstimmung durch. Kaczynski hatte dies unter allen Umständen verhindern wollen, da sein Kandidat Duda sich im April als Corona-Krisenmanager profilieren konnte und alle Umfragen anführte. Gowins Verweigerung half zudem der Opposition, sich neu aufzustellen. Trzaskowski entschloss sich kurzfristig, gegen Duda anzutreten, und sammelte mehr als 1,6 Millionen Unterschriften von Unterstützern.

Es geht nach unten

Seitdem kannten die Umfragewerte des Amtsinhabers nur eine Richtung: nach unten. Seit Ende April verlor Duda mehr als zehn Prozentpunkte an Zustimmung. Für die wahrscheinliche Stichwahl gegen den gleichaltrigen Trzaskowski sagen die Demoskopen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Auch deshalb setzte Duda im Schlussspurt seines Wahlkampfes zunehmend auf Polarisierung. Statt sich als einender Landesvater zu präsentieren, nahm er den Begriff Wahlkampf wörtlich und teilte aus, vor allem gegen die LGBT-Bewegung von Homosexuellen und Transgender, die sich „neobolschewistischer“ Methoden bediene, um ihre „Ideologie in die Schulen zu schmuggeln und das Weltbild unserer Kinder während ihrer Sexualisierung zu verändern.“ Trzaskowski führte dagegen eine betont zurückhaltende Kampagne. Sein Slogan lautete: „Polen hasst den Hass“. Ob er damit in einem politisch tief gespaltenen Land auch in einer Stichwahl bestehen könnte, hielten die Kommentatoren in Warschau zuletzt für völlig offen.