Ein formschlichter, aber golden funkelnder Sarg, aufgebahrt vor dem Altarraum. Davor: Männer in dunklen Anzügen. Während landesweit in den USA die Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus weitergingen, strömten bereits am Montag mehr als 6000 Menschen in die „Fountain of Praise“-Kirche in Houston, Texas, um sich von George Floyd zu verabschieden. Eine Mahnwache für den 46-jährigen Afroamerikaner, der Ende Mai Opfer eines brutalen Polizeieinsatzes wurde, wurde abgehalten. Am Dienstag fand dann zwar in engerem Kreis die Trauerfeier der Familie statt, von der Symbolkraft aber hatte die Verabschiedung die Dimension eines Staatsbegräbnisses. Warum?

Franchesca Gordon, auf Trauma-Aufarbeitung spezialisierte Psychotherapeutin aus Los Angeles, über die Bedeutung dieser Tat und ihrer Folgen für die schwarze Bevölkerung:

Sind Sie vom Ausmaß der Proteste überrascht?
Franchesca Gordon: Nein. Das Ausmaß ist repräsentativ für eine seit Jahrhunderten erlebte und erlittene Erfahrung der systematischen Unterdrückung schwarzer Menschen.

War die jüngste Attacke nur der berühmte „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“?
Viele sehen da so. Aber Proteste wegen der Gräueltaten und Brutalität der Polizei gegenüber Randgruppen und Minderheiten beziehungsweise von der Regierung sanktionierte Gewalt und Unterdrückung gibt es seit Jahrzehnten. Polizeigewalt ist nur eine Methode der Bigotterie gegen Schwarze. Wir leiden unter einem Generationen-Trauma und werden durch Ungleichheiten in unserem Land retraumatisiert. Unsere Seelen sind verwundet, seit wir nach Amerika gebracht, als Eigentum behandelt und gezwungen wurden, weißen Amerikanern zu helfen, sich über Generationen Wohlstand zu verschaffen.

Franchesca Gordon ist klinische Psychotherapeutin und arbeitet in Los Angeles. Sie ist auf Traumaaufarbeitung und Suchtbehandlung spezialisiert.
Franchesca Gordon ist klinische Psychotherapeutin und arbeitet in Los Angeles. Sie ist auf Traumaaufarbeitung und Suchtbehandlung spezialisiert. © Privat

Aber besteht nicht die Gefahr, dass sich Spirale der Gewalt jetzt weiterdreht und am Ende die Restriktionen nur noch strenger und Schikanen noch weitreichender werden?
Was könnte schlimmer sein als das, was wir jetzt erleben? Wir werden vor laufender Kamera getötet – aber unsere Mörder werden nicht angeklagt. Unser Tod ist irgendwie immer „gerechtfertigt“. Wir werden öfter verurteilt und bekommen höhere Strafen als Weiße, die die gleichen Straftaten begehen. Wir, die schwarze Gemeinschaft, hat immer in gefährlichen Zeiten gelebt. Das derzeitige Klima wird durch die Tatsache aber zusätzlich verschlechtert, da unser Präsident Rassentrennung und Mobbing fördert.

Hat man in der schwarzen Community das Gefühl, in einem Land der Freiheit und Gerechtigkeit – als das sich die USA gerne selbst preisen – zu leben?
Ich kenne keinen schwarzen Amerikaner, der dieses Gefühl hat. Wir kennen die Geschichten unserer Vorfahren und sehen weiterhin täglich Unterdrückung, die wir ertragen müssen. Es beginnt bei Mikroangriffen bereits in unserer Kindheit, wo wir gezwungen sind, Lehrbücher zu lesen, die nur die Sklaverei als unsere Geschichte beschreiben. Oder im schulischen Umfeld, wo wir im Vergleich zu unseren weißen Kollegen unverhältnismäßig bestraft werden. Das psychologische Trauma, in Amerika schwarz zu sein, ist allgegenwärtig und anhaltend.

Glauben Sie, dass Sie im Leben die gleichen Chancen haben wie Ihre weißen Kollegen?
Ich kann möglicherweise denselben Job wie ein Weißer bekommen, aber Statistiken zeigen, dass ich dafür höchstwahrscheinlich weniger bezahlt bekomme. Oder ich werde in einer Bewerbungsrunde für ein zweites Gespräch möglicherweise nicht zurückgerufen.

Wie kann Gerechtigkeit gelingen?
Indem wir weiterhin für politische Änderungen kämpfen, die auf allen Ebenen Gleichheit schaffen. Wir müssen weiter protestieren, bis sich für die Unterdrückten und die Unterdrücker etwas ändert.

Was treibt Sie an, auf eine Veränderung der Gesellschaft zu hoffen?
Ich bin meinen Vorfahren und zukünftigen schwarzen Generationen verpflichtet, mit ein Wegbereiter zu sein, um auf psychologischer, emotionaler und spiritueller Ebene zu helfen, Veränderungen herbeizuführen.

"Auch die Stimme der Schwarzen in Österreich muss gehört werden"

Besteht die Gefahr, dass die amerikanische multikulturelle Gesellschaft auseinanderbricht und der Rassismus zunimmt?
Ich sehe nicht, dass Rassismus verschwindet. Unser System wurzelte in Ungleichheit. Ja, Amerika besteht aus vielen schönen verschiedenen Kulturen. Das Problem ist jedoch, dass es Regeln für weiße Amerikaner und Regeln für alle anderen gibt – und das muss sich ändern. Diese Veränderung wird für diejenigen, die von den weißen Privilegien in Amerika profitieren, schwierig sein. Viele sehen die Gleichstellung der Schwarzen als „weiße Diskriminierung“. Sie erkennen die Geschichte und die Gräueltaten, die die Grundlage der Proteste bilden, nicht an.

Wie wichtig sind Solidaritätsbekundungen in anderen Ländern der Welt wie auch in Österreich?
Jeder, dessen Handlungen dazu beitragen, die Unterdrückten zu erheben, ist wichtig. Auch Solidaritätsbekundungen aus anderen Ländern sind wichtig. Aber meine Frage ist, was Ihr Land tut, um die Probleme der schwarzen Österreicher anzuerkennen und zu beseitigen? Denn auch schwarze Österreicher müssen unterstützt und auch ihre Stimmen gehört werden.

Wird das, was jetzt passiert, die Präsidentschaftswahl in den USA im Herbst beeinflussen?
Das hoffe ich sehr. Die Leidenschaft und der Schwung fühlen sich gut an. Wir brauchen einen Führer, der die rassistische Politik nicht unterstützt, sondern an einer Wiedervereinigung des Landes interessiert ist.