Voga klingt ein bisschen wie Yoga. Und ganz daneben liegt man nicht, wenn man die Fortbewegung auf dem traditionellen venezianischen Ruderboot mit östlichen Entspannungsübungen vergleicht.

Vor allem in diesen Tagen. Venedig, die Touristenmetropole und vielleicht schönste Stadt der Welt, ist menschenverlassen. Weil so wenig Motorboote unterwegs sind, die den Grund in den Kanälen aufwühlen, ist das Wasser kristallklar. Fische sind zu sehen, sogar Quallen wurden gesichtet. Normalerweise müssen die Ruderer vor den vielen Wassertaxis und Vaporetti und dem von ihnen verursachten Wellengang in Deckung gehen. Jetzt haben die Liebhaber der ältesten Fortbewegungsart Venedigs die Lagunenstadt für sich.

Von Elena Almansi heißt es, sie habe auf der Voga das Laufen gelernt. Die Voga veneta, in der Lagune wohl schon seit dem 5. Jahrhundert nach Christus in Verwendung, ist mit der Gondel verwandt, aber älter, stabiler und für den Warentransport geeignet. Almansi und fünf Freundinnen erobern gerade ihre Stadt zurück, auf die denkbar friedlichste Weise. Per Voga und dem typischen Ruderschlag, den man von den Gondolieri kennt, liefern sie Lebensmittel in der durch die Quarantäne abgeschotteten und menschenleeren Stadt aus. „Es klingt komisch angesichts des Corona-Notstandes, aber für uns geht gerade ein Traum in Erfüllung“, sagt die 27-Jährige.

Noch gilt die Ausgangssperre

Noch gilt die Ausgangssperre in Italien, Freizeitbeschäftigungen wie Rudern sind untersagt. Almansi und ihre Freundinnen kamen auf die Idee, ihre Voga-Leidenschaft in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Seit ein paar Wochen fahren sie für drei Betriebe am Festland Bio-Lebensmittel in der Stadt aus, vor allem Obst und Gemüse. Auch sechs Restaurants machen von den Botendiensten Gebrauch und lassen ihre Gerichte ausliefern. „Wir helfen den Herstellern, wir helfen den Kunden und kommen dabei auch auf unsere Kosten“, sagte Jane Caporal, eine Engländerin, die 2009 den Ruderinnenklub „Row Venice“ gründete. Die Botendienste sind kostenlos, der einzige Lohn ist das schwerelose und ungestörte Gleiten auf den Kanälen der Stadt.

Am Morgen finden sich die Ruderinnen mit ihren drei Booten an der Piazzale Roma am Canal Grande ein und laden die Ware ein. Dann rudern sie los. Selten haben sie das weiche Eintauchen ihrer Ruder ins Wasser so klar vernommen und genossen wie dieser Tage. „Gestern sind wir unter der Seufzerbrücke hindurchgefahren“, schwärmt Elena Almansi, unter normalen Umständen ist das wegen des Verkehrs undenkbar. Die 27-Jährige ist eine „campionessa“, also eine Voga-Meisterin, die in der vielleicht 3000 Ruderer umfassenden Szene einen Namen hat. Dieser Tage rudert Almansi durch den Giudecca-Kanal, ohne Verkehr und Wellen. „Ein Traum“, sagt sie. Sogar am Bacino Orseolo hinter dem Markusplatz legten sie an. Hier drängen normalerweise Gondeln und Touristen, es gibt auch für Venezianer und ihre Voga kein Durchkommen. „So leer wie jetzt war die Stadt zuletzt vor 200 Jahren“, sagt Almansi.

Wie in Watte gepackt

Venedig ist wie in Watte gepackt. Von den mehr als 25 Millionen Touristen, die die Stadt pro Jahr überschwemmen, keine Spur. Nur noch rund 55.000 Venezianer leben hier. Auch wenn sie nur für die nötigsten Verrichtungen das Haus verlassen dürfen, lernen sie ihr Zuhause gerade auf eine ganz neue Art und Weise kennen. Zu Land und zu Wasser.

Die venezianische Ruder-Szene ist fest in Männerhand, vom Geschäft mit den Gondeln ganz zu schweigen. Deshalb rief Jane Caporal „Row Venice“ für Voga-Ruderinnen ins Leben. Die Frauen bieten normalerweise Voga-Kurse für Touristen an, 40 Euro kostet die Stunde. Man lernt erst das Rudern am Bug, dann auch den schwierigen Part des Steuerns am Heck. Doch wegen des Lockdowns fallen die Kurse derzeit ins Wasser. So kam die Idee, sich am Lebensmitteltransport zu beteiligen.

Und warum soll es eigentlich nach Ende der Sperrmaßnahmen nicht etwas gemütlicher zugehen in Venedig? Die Ruderinnen stellen sich vor, sie könnten dann auch Touristen vom Bahnhof zu den Hotels chauffieren. „Es wäre schön, wenn etwas von diesem entschleunigten Venedig auch nach der Quarantäne übrig bleibt“, sagt Caporal.

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