In Zeiten der Coronakrise hört und liest man in den USA plötzlich doch recht überraschende Aussagen und Kommentare: „Everyone’s a socialist in a pandemic“ („In Zeiten einer Pandemie ist jeder ein Sozialist“), so zu lesen etwa in der „New York Times“ vom 11. März. Oder im „Philadelphia Inquirer“, der darüber sinniert, ob die gegenwärtige Krise in den USA zu einer Art „disaster socialism“ („Katastrophen-Sozialismus“) führen könnte.

Und das in dem Land, in dem Präsident Ronald Reagan einmal den berühmten Satz geprägt hat: „The nine most terrifying words in the English language are: I’m from the Government, and I’m here to help.“ – „Die neun furchteinflößendsten Worte der englischen Sprache lauten: Ich komme von der Regierung, und ich bin hier, um zu helfen.“

Österreichs Botschafter in Washington Martin Weiss liefert für die Kleine Zeitung in losen Abständen Zustandsberichte von der Coronakrise und ihren Auswirkungen auf den Wahlkampf in den USA.
Österreichs Botschafter in Washington Martin Weiss liefert für die Kleine Zeitung in losen Abständen Zustandsberichte von der Coronakrise und ihren Auswirkungen auf den Wahlkampf in den USA. © (c) APA/MAHMOUD-ASHRAF MAHMOUD/BMEIA (MAHMOUD-ASHRAF MAHMOUD/BMEIA)

In der Coronakrise hat dieser Satz aber offenbar seinen Schrecken verloren, auch in den USA wird lautstark nach dem Staat verlangt: Er ist jetzt gefordert, er muss die Wirtschaft „am Leben halten“, muss Nothilfen zur Verfügung stellen, muss Katastrophenpläne entwerfen, knappe Güter wie Schutzmasken und Beatmungsgeräte beschaffen und vieles mehr.

Arbeitslosengeld stark erhöht

Und die Maßnahmen, die die USA in dieser Krise verabschiedet haben, können sich sehen lassen: So stieg das durchschnittliche Arbeitslosengeld durch das vom Kongress verabschiedete Hilfspaket von rund 385 Dollar pro Woche auf 985 Dollar – ein Anstieg von 155 Prozent! Während ein Arbeitsloser in den USA in der Vergangenheit im Durchschnitt 41 Prozent seines Gehalts als Arbeitslosenunterstützung erhielt, steigt dieser Wert in Zeiten der Coronakrise auf eindrucksvolle 105 Prozent.

Für Niedrigverdiener bedeutet das in der Krise: Ihr Arbeitslosengeld übersteigt das Gehalt, das sie vor der Krise erhielten. Zusätzlich gibt es für alle Amerikaner noch eine Einmalzahlung in Höhe von 1200 Dollar pro Erwachsenem und 500 Dollar pro Kind. Und das in den USA, dem „Hort des freien Kapitalismus“. In einer derartigen Krise ist aber offenbar nichts mehr so, wie es war. Dinge, die bisher in den USA gänzlich unvorstellbar waren, sind plötzlich „no problem“.

Garten Eden

Oder, wie es ein Kommentator unlängst beschrieben hat: „Die US-Arbeitsstätten wurden über Nacht zu einem skandinavischen Garten Eden.“ Sie haben leichtes Fieber und müssen zu Hause bleiben? Kein Problem – natürlich bei vollen Bezügen. Ihr Kind ist krank und braucht Sie zu Hause? Selbstverständlich. Es wäre für Sie leichter, die nächsten beiden Wochen von zu Hause aus vom eigenen Computer zu arbeiten? Aber natürlich. Ändert sich angesichts von Corona vor unseren Augen da gerade „die amerikanische Psyche“? Oder gar die Idee Amerikas?

Hier ist Vorsicht geboten. Denn erstens sind die großzügigen Arbeitnehmer-Hilfsmaßnahmen vorerst einmal auf vier Monate begrenzt. Und wenn diese Maßnahmen nicht verlängert werden, dann kehrt das System zu den alten Regeln der Zeit vor Corona zurück. Zweitens ist die Coronakrise etwas ganz Außergewöhnliches: Wann hat es das schon je gegeben, dass Regierungen auf der ganzen Welt die Arbeitnehmer dazu auffordern, zu Hause zu bleiben und bitte, bitte nicht zur Arbeit zu gehen!

Die Feuerwehr soll dann wieder gehen

Dieser Zustand kann und wird nicht lange andauern. Und schließlich gleiche eine derartige Krise, so argumentiert etwa der angesehene Kommentator der „National Review“, Dan McLaughlin, am ehesten einem Feuer: Wenn ein Feuer ausbricht, rufen die Hausbewohner natürlich umgehend die Feuerwehr. Diese dürfe dann auch, um das Feuer zu löschen, so ziemlich alles tun. Durch das gesamte Haus laufen, Türen aufbrechen, Dinge beschädigen. Aber dann, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig ist, soll die Feuerwehr doch bitte auch wieder gehen. Denn es sei nie ausgemacht gewesen, dass die Feuerwehr nach dem „Brand aus“ ins Haus einziehe und dort bleibe.

Wie eine Naturkatastrophe

Was die USA – und andere Regierungen der Welt – angesichts der Coronakrise verabschiedet haben, das ist kein Stimulus-Programm, denn man will die Wirtschaft derzeit ja gar nicht stimulieren. Man will sie, ganz im Gegenteil, auf ein Mindestmaß reduzieren, die Menschen dabei aber über Wasser halten. Die Corona-Hilfe ist auch kein Rettungsschirm für Unternehmen, die aus eigenem Verschulden in Not geraten sind. Denn niemand konnte eine derartige Krise kommen sehen. Es geht vielmehr um Hilfspakete im Angesicht einer unvorhergesehenen Naturkatastrophe.

Wenn diese aber vorbei ist – und der Tag wird kommen –, dann wird wohl in den USA wieder der Satz gelten: „Die neun furchteinflößendsten Wörter der englischen Sprache lauten: Ich komme von der Regierung, und ich bin hier, um zu helfen.“