Eine Scheidung bedeutet nicht das Ende einer Beziehung. Sie wird nur einschneidend umformatiert, was nicht weniger konfliktreich und schmerzhaft sein kann. Man bleibt getrennt verbunden. Es geht um heikle Fragen des Ausgleichs wechselseitiger Interessen, des Managements von Restgefühlen, der Balance von Rechten und Pflichten, von Nähe und Distanz. Das ist bei Großbritannien und der EU nicht anders.

In wenigen Tagen beginnen die Geschiedenen ihre Verhandlungen über die künftige Beziehung, vor allem über die Regeln, wie man miteinander Handel treiben soll. Sein wahres Gesicht will man da noch nicht herzeigen. Daher fügte es sich gut, dass es Faschingdienstag war, als Sebastian Kurz dem britischen Premierminister Boris Johnson einen Besuch in London abstattete. Penibel unterschied er beim Medien-Briefing am Flughafen, was zitabel sei für die Galerie, sagbar im Kostüm diplomatischer Geschmeidigkeit, und was knallharter Kulissen-Stoff. Zu den Kostüm-Sätzen gehörten Formulierungen wie: „Großbritannien hat die EU verlassen, aber nicht Europa.“

33.000 Insel-Österreicher

Die Insel bleibe ein wichtiger außen- und sicherheitspolitischer Partner und eine der größten Volkswirtschaften. Heißt: Man braucht einander, will das aber nicht groß hinausposaunen. In dieses Interessengeflecht ist auch das kleine Österreich eingewoben: Güter im Wert von vier Milliarden Euro exportieren heimische Firmen hinüber zum Ex-Partner, wo 33.000 Österreicher leben. Die Abhängigkeit der Insel vom europäischen Binnenmarkt ist noch viel größer. Um das zu übertünchen, lancierte Johnson die Nachricht, dass man zeitgleich auch mit Amerika einen Freihandelsvertrag ausloten werde - eine listige Parallelaktion, um Druck gegenüber Brüssel aufzubauen. Auch die Spielernatur Johnson nimmt kostümiert am Pokertisch Platz.

Frivole Aussagen

Zum Rollenspiel gehören auch frivole Aussagen, wonach er, Johnson, „keine Notwendigkeit“ sehe, sich bei der Regelung des Handels an Vereinbarungen mit der EU zu binden. In vielen Bereichen wie dem Tierschutz, dem Mindestlohn oder der Elternzeit habe die Insel ohnehin „höhere Standards“ als die EU. „Wir verlangen von Brüssel ja auch nicht, dass sich Europa auf britisches Recht einlässt.“ Auch wenn es sich um karnevaleske Rhetorik gehandelt haben mag, die Johnson da im Royal Navy College in Greenwich vom Stapel gelassen hatte, so ließ sie doch erkennen, wie tief der Graben ist.

"Das ist fantastisch!"

Insider sprechen von einer Kriegserklärung. Johnson baue künstlich einen Außenfeind auf, um daheim vom Umstand abzulenken, dass er seine Wahlversprechen nicht finanzieren könne. Lieber ätzt der Premierminister höhnend über die Uneinigkeit der Europäer beim Budget. Beim Treffen mit dem österreichischen Kanzler reagiert Johnson entzückt, als er erfährt, dass der Gast eigens für die halbstündige Begegnung nach London gereist sei: „Oh, das ist fantastisch!“ Tags davor gab der kroatische Regierungschef dem Abtrünnigen die Ehre.

„Das wird eine intensive Debatte, die da auf uns zukommt“, fasste Kurz vor dem Rückflug sein halbstündiges Gespräch mit Johnson zusammen. Es sei klar geworden, dass der Brite „nicht zu jeglicher Kooperation bereit“ sein werde. Ob er versuchen werde, die EU zu spalten? „Wenn es seine Taktik sein sollte, wird sie nicht funktionieren“.

Und wenn es zu keiner Einigung kommt? „Dann fällt Großbritannien auf WTO-Level zurück“. (Gemeint sind die Handelsregeln der Welthandelsorganisation WTO.) Das wäre bestenfalls eine kühle wirtschaftliche Nachbarschaft wie mit der Schweiz, aber kein bevorteilter Zugang zum Markt. Den könne es nur geben, wenn sich Großbritannien vertraglich zu den europäischen Standards bekenne, im Umwelt- und Arbeitnehmerschutz ebenso wie bei den Steuern.

Scharfe Kante, aber in Watte

Kurz: „Es darf keine ungleichen Wettbewerbsbedingungen geben. Wir wollen Fairness.“ Damit folgte der Kanzler Wort-ident der Brüsseler Message Control. Das europäische Parlament fordert scharfe Kante gegen Großbritannien. Eine Dumping-Insel jenseits des Kanals mit vollem freien Zugang zu den Märkten, diese Vorstellung sei „absurd“. Weil Faschingdienstag war, bettete der Kanzler in Downing Street Nr. 10 die scharfe Kante in bunte, weiche Watte: „Wir wollen eine möglichst enge Partnerschaft.“ Die ist in weiter Ferne. Zehn Monate bleiben.