Der EU-Sondergipfel zum Finanzrahmen in Brüssel ist laut Diplomaten ohne Einigung zu Ende gegangen. Der Sprecher von Ratspräsident Charles Michel teilte am Freitagebend auf Twitter mit, der Gipfel sei zu Ende.

Das Tauziehen um das mehrjährige Budget der Europäischen Union muss nun zu einem anderen Zeitpunkt weitergehen. EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sehen viel Arbeit in den weiteren Verhandlungen auf sich zukommen, wie sie vor Journalisten in Brüssel sagten. Nach dem Brexit klaffe eine Lücke von rund 60 bis 75 Mrd. Euro im Budget und die Gespräche seien schwierig. Jetzt werde geprüft, wie man weiter mit dem Thema umgehe, um eine Einigung im Rat zu erzielen, wo es Einstimmigkeit brauche. Nach den Worten der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel noch unklar, wann ein neuer Lösungsversuch folgt. Es habe sich gezeigt, dass die Differenzen der 27 EU-Staaten zu groß seien, um jetzt noch weiter zu verhandeln, sagte die CDU-Politikerin am Freitagabend in Brüssel.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will sich nach dem Scheitern des EU-Sondergipfels weiter mit den Nettozahlern koordinieren. "Wir werden weiter als die 'Sparsamen Vier' uns gut koordinieren und versuchen, dass es schon beim nächsten Gipfel einen Durchbruch gibt", sagte Kurz am Freitagabend in Brüssel. In der Diskussion seien die Unterschiede der EU-Staaten "nach wie vor sehr groß" gewesen.

Obwohl der Sondergipfel in Brüssel ohne Einigung auf das nächste EU-Gemeinschaftsbudget zu Ende gegangen ist, zeigte sich EU-Kommissar Johannes Hahnzufrieden angesichts des Verlaufs. Sowohl formelle als auch informelle Gespräche hätten in einem Geiste stattgefunden, "wo man sich gegenseitig die Augen schauen konnte", so der Kommissar gegenüber der APA am Freitag. "Es ist jeder hier weggefahren ohne Verletzungen, wenn man so will", berichtete Hahn.

"Wir haben jetzt 48 Stunden verhandelt, wir müssen weiterhin am Ball bleiben. Die Arbeit geht ungebrochen weiter", so von der Leyen. Es liege aber noch harte Arbeit vor den Verhandlern. Auch das Parlament müsse am Ende zustimmen. Die Zeit dränge, um alle Programme für das Jahr 2021 zu sichern. Es gebe die Herausforderungen der Digitalisierung, des Klimawandels und die Folgen des Austritt Großbritanniens aus der EU. "Dafür brauchen wir ein handlungsfähiges Europa", sagte die Kommissionspräsidentin.

EU-Ratspräsident Charles Michel hatte zuvor beim EU-Gipfel in Brüssel einen neuen Anlauf zur Einigung auf den Mehrjahreshaushalt von 2021-2027 versucht. Wie am Freitag aus diplomatischen Kreisen verlautete, soll die Ausgabenobergrenze dem Vorschlag zufolge bei 1,069 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU liegen.

Dies wäre eine leichte Kürzung zum bisherigen Vorschlag von 1,074 Prozent oder knapp 1.095 Milliarden Euro. Gegenüber diesem vorherigen Vorschlag soll dieses Papier Einsparungen von 10 Milliarden Euro an Verpflichtungen und 14 Milliarden an Zahlungen bringen. Gespart wird laut Diplomaten unter anderem bei der Forschung, Raumfahrt und Verteidigungsausgaben, während der Übergangsfonds für die Klimawende leicht aufgestockt würde. Ansteigen gegenüber dem vorigen Entwurf sollen auch die Ausgaben für die Landwirtschaft.

Grundlage sei ein Diskussionspapier der EU-Kommission, das nun beim Gipfel von allen 27 EU-Staaten diskutiert werden soll, hieß es in Ratskreisen. Dem Vernehmen nach sieht das Dokument auch Rabatte für Österreich, Deutschland, Dänemark, die Niederlande und Schweden vor. So sollen diese Länder 100 Prozent ihrer Rabatte von 2020 im nominalen Wert weiter erhalten, hieß es. Für Österreich sei zudem ein Rabatt von 100 Millionen Euro vorgesehen. Österreich hatte schon bisher einen Rabatt, der mit dem Austritt Großbritanniens schrittweise auslaufen würde, nun aber eine Fortsetzung finden könne.

Die Verhandlungen zum nächsten Sieben-Jahres-Budget der EU beim Sondergipfel in Brüssel gingen am Abend weiter. Nach Einzelgesprächen mit den Staats- und Regierungschefs in der Nacht ruft EU-Ratspräsident Charles Michel nun wieder alle 27 Vertreter der Länder an den Verhandlungstisch.

Vor Beginn dieses zweiten Gipfeltages sind die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit der Allianz der vier Nettozahlerländer Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden zusammengekommen. Zuvor hatten sich die "sparsamen Vier" (Frugal Four) zu Beratungen bei EU-Ratspräsident Charles Michel eingefunden.

"Wir sind gut abgestimmt in der Gruppe der Nettozahler und vertreten hier auch unsere Position", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz in der Nacht auf Freitag. Die vier Staaten wollen einem Budgetplan nur gemeinsam zustimmen.

Michels Budgetplan für die sieben Jahre liegt bei rund 1.095 Milliarden Euro - das entspricht 1,074 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Nettozahler-Allianz pocht darauf, das Budget auf 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Länder wie Frankreich oder Spanien kritisierten die Einschnitte bei den Agrarhilfen. Besonders östliche Staaten fordern mehr Geld für die Regionalprogramme

Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel sagte beim Eintreffen ins Ratsgebäude, es sähe "nicht rosig" aus. Bettel übte Kritik an der harten Haltung der Nettozahler-Allianz, der auch Österreich angehört. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) traf vor dem Gipfel auch noch einmal mit den Nettozahlern Niederlande, Dänemark und Schweden zusammen.

"Weiß, was Europa uns bringt"

Luxemburg sei auch Nettozahler, sagte Bettel. "Ich weiß, was Europa mir bringt." Er mache nicht die Rechnung, "was kriege ich zurück". "Ich bin bereit mehr zu zahlen für dieses europäische Projekt. Wenn jeder nur rechnet, was es kostet, und nicht was es bringt, dann kommen wir nicht sehr weit." Freilich brauche es Effizienz etwa in der Verwaltung. Das dürfe aber nicht bedeuten, dass europäische Agenturen geschlossen werden, so Bettel.

Mehrere Teilnehmer erwarteten  einen neuen Vorschlag für das über eine Billion Euro schwere Budget. Ein in der vergangenen Woche präsentierter Vorschlag Michels für das Budget für die Jahre 2021 bis 2027 war bei vielen Mitgliedstaaten auf Kritik gestoßen. Er sieht Kürzungen der Milliardenhilfen für Europas Bauern und Regionen vor, aber mehr Geld für Klimapolitik, Grenzschutz, Forscher und Studenten. Das Volumen des Haushaltsplans liegt bei knapp 1095 Milliarden Euro. Dies sind 1,074 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung.

Der Sondergipfel hatte am Donnerstag mit großen Differenzen begonnen. Es geht um den siebenjährigen Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 im Umfang von gut einer Billion Euro - und um die Verteilung des Geldes. Von EU-Zahlungen profitieren Millionen Landwirte, Kommunen, Unternehmen, Studenten und andere Bürger, auch in Deutschland. Strittig waren aber zunächst noch alle zentralen Fragen: Wie viel überhaupt auf europäischer Ebene ausgegeben werden soll und wofür, wer wie viel einzahlt und ob die EU neue Einnahmequellen bekommen soll. Eine Lösung ist diesmal besonders schwierig, weil nach dem Brexit die britischen Beiträge fehlen.

Gipfelstart

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach zum Gipfelstart von großen Differenzen und äußerte sich selbst unzufrieden über den Verhandlungsstand. Auch viele andere der 27 Länder präsentierten Nachforderungen aller Art. In einer ersten Runde hätten die Gipfelteilnehmer vor allem ihre innenpolitische Situation noch einmal in strukturierter Form dargestellt, sagten EU-Diplomaten. Die Atmosphäre sei konstruktiv, hieß es. Doch von Bewegung oder gar Ergebnissen war noch keine Rede.

Deshalb unterbrach Michel die gemeinsame Runde gegen 20.00 Uhr und führte fortan über Stunden hinweg Einzelgespräche mit den Staats- und Regierungschefs. Merkel, die als Zweite dran war, verließ den Tagungsort nach ihrem Gespräch am späten Abend. Andere Staats- und Regierungschefs wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte taten es ihr im Laufe der Nacht gleich.

Kompromissvorschlag

Michel hatte vorige Woche einen Kompromissvorschlag gemacht, der nicht nur bei Merkel auf Unmut traf. Er sah vor, dass die EU-Staaten 1,074 Prozent der Wirtschaftsleistung ins Gemeinschaftsbudget einzahlen. Deutschland und andere Nettozahler wollen einen Deckel bei 1,0 Prozent und pochen zudem auf Rabatte.

Zu dieser Gruppe gehört auch ein Quartett aus Dänemark, Schweden, Österreich und den Niederlanden. Um ihrer Position Nachdruck zu verleihen, erschienen die Regierungschefs der vier Länder Diplomaten zufolge gemeinsam zum Gespräch mit Michel. Österreichs Bundeskanzler Kurz sprach anschließend von einer "sehr intensiven Verhandlungen". Die Gruppe der vier Nettozahler mit Österreich, die mehr in den EU-Haushalt einzahlen als sie zurückbekommen, sei "gut abgestimmt" und habe ihre Position bei dem Gipfel vertreten.

Haushaltsrahmen

EU-Länder im Osten und Süden fordern hingegen höhere Ausgaben für den Haushaltsrahmen. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki schrieb am späten Donnerstagabend auf Twitter, für ihn seien Mittel für die Landwirtschaft sowie die Regionalförderung wichtig.

Lösung

Angela Merkel versicherte zu Beginn des Gipfels: "Deutschland kommt hierher mit einer großen Entschlossenheit, eine Lösung zu finden." Doch sei unter den Nettozahlern "die Balance noch nicht richtig ausgearbeitet". Zu den besonderen Interessen Deutschlands zählten weitere EU-Hilfen für die ostdeutschen Bundesländer und Investitionen in Forschung und Entwicklung, aber auch in Grenzschutz und Migrationssteuerung.

Der französische Präsident Emmanuel Macron nannte deutlich andere Schwerpunkte und forderte mehr Geld für die Verteidigung, für das Erasmus-Austauschprogramm und für die Landwirtschaft. Doch auch insgesamt seien mehr Ehrgeiz und mehr Mittel nötig, sagte Macron.

Selbst wenn sich die EU-Staaten einig werden, ist noch ein Kompromiss mit dem Europaparlament nötig. Das fordert viel mehr Geld - nämlich 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Parlamentspräsident David Sassoli drohte am Donnerstag bereits mit einem Veto. Die Abgeordneten würden "nicht jede beliebige Einigung akzeptieren".