Wladimir Putin hat die gesamte russische Elite überrumpelt: Zuerst kündigte er „einschneidende“ Änderungen der Verfassung an. Wenig später trat die gesamte Regierung zurück – offenbar sogar für einige Minister überraschend. Noch am selben Tag wurde mit dem bisherigen Chef der Steuerbehörde ein neuer Regierungschef präsentiert. Und nur einen Tag später wurde der bisher politisch kaum bekannte Chef der Steuerbehörde, Michail Mischustin, bereits in diesem Amt bestätigt. Mit überwältigender Mehrheit stimmte das Parlament für den Wunschkandidaten Putins. 383 Abgeordnete votierten dafür. Es gab keine Gegenstimmen, aber 41 Enthaltungen.

Per Volksabstimmung will Putin, wie er sagte, dem Parlament künftig mehr Macht zukommen lassen. Dieses soll künftig den Premier bestimmen. Jedem künftigen Präsidenten wird damit Macht aus der Hand genommen. Klingt nach einem Schritt Richtung Demokratisierung?
Wohl nur an der Oberfläche. Seit 20 Jahren ist Putin in Russland am Ruder. 2024 läuft seine mittlerweile vierte Amtszeit nun offiziell aus. Sein Nachfolger ist von vornherein geschwächt. In Moskau sprachen einige Medien von einem „Verfassungs-Putsch“, den der Präsident gerade durchziehe. Denn zu vermuten ist, dass die geplanten Änderungen am Grundgesetz vor allem einem Mann dienen: Wladimir Putin und seinem Kontroll- und Machterhalt über 2024 hinaus.

Das Parlament, die Duma, ist vollkommen von der Kreml-Partei dominiert. Dass ein Parlament gegen den Willen Putins einen Regierungschef oder Minister einsetzt, ist in Russland derzeit nicht denkbar. Und auch, dass der jetzt neu eingesetzte Premier gegen den Willen Putins starke Eigeninitiative entwickelt: Wie sein Vorgänger Medwedew ist Michail Mischustin ein enger Vertrauter des Präsidenten.
Bei den Details der geplanten Verfassungsreform blieb der Kreml-Chef noch vage. Die Änderungen sind kein Prozess, der gesamtgesellschaftlich diskutiert wird. Die aktuelle Verfassung schreibt vor, dass der Präsident nur zweimal hintereinander amtieren darf. Schon in der Vergangenheit zeigte Putin sich kreativ, wenn es darum ging, seine Amtszeit dennoch zu verlängern - er wechselte einfach zwischendurch ins Amt des Premierministers. Spekuliert wird, dass Putin diesmal auf den Führungsposten des Staatsrates abzielen könnte - denn dieses Gremium von Spitzenbeamten und Gouverneuren soll den Plänen zufolge aufgewertet und in die Verfassung geschrieben werden. Aber auch, dass er doch wieder als Premier zurückkehrt, und sogar, dass der zurückgetretene Putin-Intimus Medwedew im Tandem dann wieder Präsident wird, halten manche für denkbar.

Offen als Autokrat auf Lebenszeit deklarieren will sich der „Zar“ offenbar nicht; er macht sie die Mühe, mit Winkelzügen den Schein zu wahren. Dennoch: Dass sich am System Putin etwas ändert, ist auf lange Zeit nicht absehbar.