Zwei Tage nach dem Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Iran heizt der Streit über die Unglücksursache die Spannungen in der Region zusätzlich an. Führende westliche Staaten gehen mittlerweile von einem versehentlichen Raketenabschuss durch die iranische Luftabwehr aus.

Die USA verhängen nun neue Sanktionen gegen Teheran. Das teilten US-Außenminister Mike Pompeo und Finanzminister Steven Mnuchin am Freitag in Washington mit.

Nach Kanada und Großbritannien gehen auch die USA von einem Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine durch den Iran aus. "Wir glauben, dass es wahrscheinlich ist, dass dieses Flugzeug durch eine iranische Rakete abgeschossen wurde", sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Freitag im Weißen Haus. Pompeo betonte aber, man müsse die Untersuchung abwarten.

Mühsam ausgehandeltes Abkommen

Trump hatte 2018 das 2015 mühsam in Wien ausgehandelte internationale Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufgekündigt, weil es aus seiner Sicht nicht weit genug geht. Die Amerikaner versuchen seitdem, Teheran seitdem mit einer "Kampagne maximalen Drucks" in die Knie zwingen und haben massive Wirtschaftssanktionen gegen das Land verhängt. Dies soll nun weitergehen.

Die Regierung in Teheran wies die Darstellung, es habe sich um einen Abschuss gehandelt, zurück und sprach von "psychologischer Kriegsführung" gegen ihr Land.

Flugschreiber

Aufklärung soll die Auswertung der Flugschreiber bringen, die am Freitag geöffnet werden sollten. Diese Aufgabe will der Iran selbst übernehmen, gegebenenfalls aber Hilfe bei den ebenfalls von dem Absturz betroffenen Ländern einholen. Die AUA entschied unterdessen, dass die beiden täglichen Flüge zwischen Wien und Teheran bis einschließlich 20. Jänner gestrichen werden. Die Entscheidung sei "aufgrund der aktuellen Meldungen und der veränderten Einschätzung der Sicherheitslage für den Luftraum rund um den Flughafen in Teheran" erfolgt, teilte die Lufthansa-Tochter der APA am Freitag mit. Dieselbe Entscheidung verkündete später auch die Konzernmutter Lufthansa für ihre Teheran-Flüge.

Video von möglichem Abschuss

Ein im Internet kursierendes Video stärkt nach Einschätzung der "New York Times" die These eines Raketenbeschusses einer ukrainischen Boeing bei Teheran. "Das von der New York Times verifizierte Video scheint eine iranische Rakete zu zeigen, die ein Flugzeug in der Nähe von Teherans Airport trifft", schrieb das Blatt am Donnerstag (Ortszeit) in seiner Onlineausgabe.

Iran: Videos nicht verifizierbar

Der Chef der iranischen Behörde für die zivile Luftfahrt, Ali Abedsadeh, hat sich skeptisch zu im Internet veröffentlichten Videos geäußert, die zeigen sollen, wie das Flugzeug von einer Rakete getroffen wird. Die Echtheit der Aufnahmen könne nicht verifiziert werden, sagte Abedsadeh am Freitag.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas forderte indes größtmögliche Transparenz bei der Aufklärung der Absturzursache. Den iranischen Verantwortlichen sei mitgeteilt worden, dass Kanada und die Ukraine bei der Aufklärung beteiligt werden sollten, sagte Maas im Interview des Fernsehsenders RTL/ntv am Freitag in Berlin. Es sollte nichts unter den Tisch gekehrt werden.

Maas äußerte zugleich die Einschätzung, dass alle Seiten an einer Deeskalation interessiert seien. So habe auch US-Präsident Donald Trump sehr zurückhaltend auf den vermeintlichen Abschuss reagiert und darauf hingewiesen, dass es sich um eine Tragödie im Sinne eines Versehens handle. "Alle Seiten haben erkannt, dass Schluss ist mit der militärischen Eskalation", sagte Maas, der die Gesprächseinladung des Iran an die USA als "wichtiges Signal" lobte. Es sei nun die Tür aufgestoßen, um die Probleme "am grünen Tisch" zu lösen.

63 Kanadier unter den Opfern

Das Flugzeug war am Mittwoch auf dem Weg von Teheran nach Kiew kurz nach dem Start abgestürzt. Der Iran hatte Spekulationen über einen Abschuss zurückgewiesen und einen technischen Defekt als Ursache angeführt. Unter den Absturzopfern waren 63 Kanadier.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau sagte am Donnerstag, seine Regierung habe Informationen "von mehreren Quellen, von unseren Alliierten und eigene Informationen". Die Beweise seien "sehr klar". Der britische Regierungschef Boris Johnson sprach einer Mitteilung zufolge von einem "Korpus an Informationen", der auf einen Abschuss durch eine iranische Rakete hinweise.

Der US-Sender CBS berichtete, US-Geheimdienste hätten Signale von einem Radar empfangen, das eingeschaltet worden sei. US-Satelliten hätten außerdem den Start von zwei Boden-Luft-Raketen kurz vor der Explosion des Flugzeugs entdeckt. CNN berichtete, der Theorie eines versehentlichen Abschusses durch den Iran lägen die Analyse von Satelliten-, Radar- und anderen elektronischen Daten zugrunde, die routinemäßig vom US-Militär und den Geheimdiensten gesammelt würden.

Boeing-Fachleute sollen an der Untersuchung teilnehmen

Die Ukraine hat bereits eigene Experten in den Iran geschickt. Der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh, gab am Donnerstagabend im iranischen Fernsehen bekannt, dass der Iran auch Boeing-Fachleute aus den USA, Kanada und Frankreich an den Untersuchungen zur Absturzursache der ukrainischen Passagiermaschine bei Teheran beteilige.

Die Blackbox des Flugzeuges solle im Iran untersucht werden. Falls dies aber aus technischen Gründen nicht möglich sein sollte, wären auch Untersuchungen im Ausland denkbar. Es sollten alle technischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, um die Absturzursache umgehend zu klären, sagte Abedsadeh. Die Vermutung, die Maschine sei von einem iranischen Raketenabwehrsystem getroffen worden, bezeichnete er als absurd.

Das iranische Außenministerium verlangte von Kanada die Übergabe der Geheimdienstformationen. Die kanadische Regierung solle diese Informationen mit einer vom Iran eingesetzten Untersuchungskommission "teilen", erklärte das Außenministerium in Teheran.

AUA ließ Flieger umkehren

Aufgrund der Sicherheitslage in der Region hatte die AUA am Donnerstagabend ein Flugzeug auf dem Weg in die iranische Hauptstadt Teheran umkehren lassen. Auch der Flug von und nach Teheran am Freitag wurde gestrichen. Zugleich gab die Airline bekannt, dass sie alle Flüge in die iranische Hauptstadt bis 20. Jänner einstellen wird.

Im Konflikt zwischen den USA und dem Iran standen die Zeichen nach den gezielten Militärschlägen vorerst auf Entspannung. Die Lage am Persischen Golf war eskaliert, nachdem die USA den iranischen Top-General Qassem Soleimani Ende vergangener Woche in Bagdad gezielt getötet hatten. Der Iran hatte in der Nacht zum Mittwoch mit einem - angekündigten - Angriff auf zwei von den USA genutzte Militärbasen im Irak geantwortet. Danach hatten Trump und Irans Präsident Hassan Rouhani angekündigt, den Konflikt zunächst auf politischer Ebene führen zu wollen.

Trump verteidigt Vorgehen, Kritik auch aus eigenen Reihen

Trump verteidigte das Vorgehen der USA gegen Soleimani erneut. Bei einem Wahlkampfauftritt in Toledo im US-Bundesstaat Ohio bezeichnete er Soleimani als "sadistischen Massenmörder". "Soleimani hat aktiv neue Angriffe geplant und hatte sehr ernsthaft unsere Botschaften im Blick und nicht nur die Botschaft in Bagdad. Aber wir haben ihn gestoppt", sagte Trump. Zuvor hatte er im Weißen Haus gesagt, Soleimani habe die US-Botschaft in die Luft jagen wollen.

Trump ging mit seinen Äußerungen über die bisherige Darstellung der US-Regierung der Beweggründe für den Angriff auf Soleimani hinaus. Die Demokraten hatten Zweifel an der Begründung angemeldet, wonach Soleimani bevorstehende Angriffe auf US-Bürger geplant habe, und kritisierten auch, dass die US-Regierung in der Angelegenheit zu wenig Informationen preisgebe. Trump warf den Demokraten in Toledo vor, alles an die Medien weiterzugeben, wenn sie informiert würden.

Repräsentantenhaus stimmte gegen militärisches Vorgehen

Das US-Repräsentantenhaus verabschiedete am Donnerstag eine Resolution, mit der ein eigenmächtiges militärisches Vorgehen von Trump gegen den Iran verhindert werden soll. Mit ihrer Mehrheit in der Kammer stimmten die Demokraten für einen entsprechenden Beschluss, der den Republikaner Trump zur Einbeziehung des Parlaments zwingen soll. Der Vorstoß dürfte symbolischen Charakter haben: Die Demokraten dominieren zwar das Abgeordnetenhaus, den Senat aber die Republikaner. Eine Mehrheit für die Resolution dürfte dort nicht zustande kommen. Ohnehin dürfte sie spätestens an einem Veto Trumps scheitern.

Sondertreffen in Brüssel

Die EU-Außenminister beraten am Freitag (15.00 Uhr) bei einem Sondertreffen in Brüssel über die Krisenherde in Nahost und Libyen. Von dem Treffen soll vor allem ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. Die Staatengemeinschaft hatte in beiden Konflikt jüngst versucht, ihre diplomatischen Kanäle zu nutzen. Für Österreich wird Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in Brüssel erwartet.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält die Lage am Persischen Golf weiter für unberechenbar. Die NATO reagierte auf Trumps Aufforderung, das Militärbündnis müsse zusätzlich zur Stabilität im Nahen Osten und dem Kampf gegen Terrorismus beitragen. Die NATO habe das Potenzial dazu, sagte Stoltenberg. "Und wir prüfen, was wir zusätzlich tun können." Trump ging am Donnerstag sogar so weit zu sagen: "Ich denke, die NATO sollte erweitert werden und wir sollten den Nahen Osten einbeziehen." Man könne das Bündnis in NATO-ME umbenennen, scherzte Trump. Das Kürzel ME würde dabei für Middle East - also Naher Osten - stehen. Er habe den Namen bereits NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vorgeschlagen.