Mit einem Empfang bei Queen Elizabeth und einem Abendessen bei Premierminister Boris Johnson in der Downing Street hat am Dienstagabend das Treffen der 29 Nato-Länder in London offiziell begonnen.

Der Gipfel zum 70. Geburtstag der Nato hat tiefe Risse im Bündnis offenbart. US-Präsident Donald Trump nannte es am Dienstag in London "sehr beleidigend", dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der Militärallianz den "Hirntod" bescheinigt hat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte mit der Blockade von Beschlüssen. Auf den Straßen Londons demonstrierten die Menschen einmal gegen Erdogan, ein andermal gegen Trump. Zum Schluss einigten sich die Nato-Staaten trotz Streits und Unstimmigkeiten auf eine Abschlusserklärung.

Darin erneuern die Verbündeten ihre gegenseitige Beistandsverpflichtung und heben auch die Bedeutung der "transatlantischen Bindung zwischen Europa und Nordamerika" hervor, wie aus der am Mittwoch verabschiedeten Londoner Erklärung hervorgeht. Die NATO-Partner erwähnen darin auch die "Herausforderungen" durch ein immer stärker werdendes China.

Gespräch zwischen Trump und Erdogan

Am Rande des Gipfels kam US-Präsident Donald Trump auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu einem bilateralen Gespräch zusammen. Das Treffen sei "sehr produktiv" verlaufen, teilte ein Sprecher des türkischen Präsidialamts im Onlinedienst Twitter mit. Das Weiße Haus bestätigte das Treffen, das zuvor nicht angekündigt worden war. Die USA und die Türkei stehen bei den europäischen Nato-Verbündeten derzeit massiv in der Kritik. Grund ist deren Politik in Nordsyrien: Trump hatte ohne Abstimmung mit den Alliierten den Abzug der US-Truppen aus dem Gebiet veranlasst, woraufhin die türkische Armee zusammen mit verbündeten, teils islamistischen Milizen in das Kurdengebiet einmarschieren konnten.

Zuvor galten die kurdischen Milizen in Nordsyrien als enge Verbündete des Westens im Kampf gegen die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte das unabgestimmte Vorgehen der beiden Länder zum Anlass genommen, um der NATO den "Hirntod" zu bescheinigen.

Trump sagt finales Statement ab

Spontane Pressekonferenzen von US-Präsident Donald Trump können schon mal um die 50 Minuten dauern - wie ein Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor dem NATO-Gipfel in London am Dienstag bewies.

Seine eigentliche Pressekonferenz zum Abschluss des Spitzentreffens sagte Trump am Mittwoch kurzerhand ab, "weil wir so viele in den vergangenen zwei Tagen gemacht haben", schrieb Trump auf Twitter.

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte zum Auftakt des zweiten Tages des Nato-Gipfels seine Kritik an einer fehlenden Abstimmung der Bündnispartner verteidigt. Es sei für ihn wichtig gewesen, auf "Unklarheiten" hinzuweisen, "die schädlich sein könnten", sagte Macron am Mittwoch in Watford bei London.

Es sei nötig, "eine echte strategische Debatte zu führen". Er sei froh, dass diese nun begonnen habe, sagte der französische Präsident.

Die NATO könne nicht nur über Verteidigungsausgaben reden, sagte Macron weiter. Es gebe in der Nato viele Fragen, die nicht geklärt seien. Er nannte den Ausstieg der USA und Russlands aus dem INF-Vertrag zur Begrenzung atomar bestückbarer Mittelstreckenraketen. Die NATO müsse sich aber auch fragen, "wer ist unser Feind", sagte der Präsident. "Wie reagieren wir gemeinsam auf den internationalen Terrorismus?"

China dominiert 5G

Als ein möglicher Problembereich wird der Mobilfunkstandard 5G genannt, bei dem das chinesische Unternehmen Huawei als Technologieführer gilt. "Wir erkennen die Notwendigkeit an, auf sichere und widerstandsfähige Systeme zu setzen", heißt es zu dem Thema in der Erklärung.

Die von den USA gewünschte Selbstverpflichtung von Nato-Staaten, beim 5G-Aufbau ganz auf Huawei-Produkte zu verzichten, gibt es aber nicht. Länder wie Großbritannien und Deutschland hatten zuletzt wiederholt deutlich gemacht, dass sie die Fundamentalkritik der USA an Huawei nicht teilen. Die Amerikaner sind der Auffassung, dass sich mit Huawei-Produkten keine sicheren Netze aufbauen lassen, weil das Unternehmen im Zweifelsfall Daten an staatliche Stellen in China freigeben muss.

Auch die vom deutschen Außenminister Heiko Maas gestartete Initiative für mehr politische Koordinierung unter den Nato-Partnern schaffte es in die vom Nordatlantikrat verabschiedete Abschlusserklärung. Die Mitgliedstaaten konnten sich allerdings noch nicht auf die Einberufung einer Arbeitsgruppe verständigen. Stattdessen wird Generalsekretär Jens Stoltenberg aufgefordert, erst einmal einen Vorschlag für einen "vorwärtsgerichteten Reflexionsprozess" zu machen.

"Hirntod"

Mit dem Vorschlag zur Einsetzung einer Reformkommission hatte Maas vor rund zwei Wochen auf die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron losgetretene Debatte über den Zustand des Militärbündnisses 70 Jahre nach seiner Gründung reagiert. Dieser kritisiert sicherheitspolitische Alleingänge von Partnern wie den USA und der Türkei und hat dem Bündnis plakativ einen "Hirntod" attestiert.

Auf Forderungen von Macron, eine grundlegende Strategiediskussion zu beginnen, wird in dem Text ebenso wenig eingegangen wie auf seinen Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit Russland. Zu Russland heißt es wie in früheren Nato-Erklärungen, dessen aggressive Handlungen stellten eine "Gefahr für die euroatlantische Sicherheit" dar. Die NATO bleibe offen für den Dialog und für eine konstruktive Partnerschaft, wenn Russlands Handlungen dies ermöglichten.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte pünktlich zum Gipfel betont, dass er in der erfolgten Expansion der Nato nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Bedrohung für sein Land sieht. Für die Erweiterung des transatlantischen Militärbündnisses um osteuropäische Staaten habe es keine Gründe gegeben, sagte er bei einem Treffen mit russischen Militärs am Dienstag in Sotschi. Russland sei aber offen für eine Zusammenarbeit mit der Nato. "Wir haben wiederholt unsere Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, mit der Nato zu kooperieren und reale Gefahren gemeinsam abzuwehren", sagte der Kreml-Chef der Agentur Interfax zufolge. Er verwies dabei auf den internationalen Terrorismus, lokale Konflikte und die Gefahr, dass sich Massenvernichtungswaffen unkontrolliert verbreiten könnten.

Die Gipfel-Abschlusserklärung der Nato betont noch einmal, dass die Bündnisstaaten weiter auch auf Atomwaffen setzen werden, um eine effektive und glaubwürdige Abschreckung zu gewährleisten. "Solange Nuklearwaffen existieren, wird die Nato ein nukleares Bündnis bleiben", heißt es in dem Text. Gleichzeitig setze man sich für effektive Waffenkontrolle, Abrüstung und die Nicht-Weiterverbreitung von Nuklearwaffen ein. Gemeinsam stellen sich die Bündnispartner noch einmal ausdrücklich hinter Artikel 5 des Nato-Vertrags. Dort ist festgeschrieben, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen Alliierten als ein Angriff gegen alle angesehen werden wird.

Nato-Erfahrung

Dazu gibt es reichlich Eigenlob. Die Erklärung beginnt mit den Worten, man habe sich in London versammelt, um den 70. Geburtstag des "stärksten und erfolgreichsten Bündnisses in der Geschichte" zu feiern. Die Nato garantiere die Sicherheit des Bündnisgebiets und seiner eine Milliarde Bürger und dazu auch gemeinsame Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Zumindest für oppositionelle Politiker und Medien in Nato-Ländern wie der Türkei, Polen und Ungarn dürfte das wie Hohn klingen.