Vergeblich versuchte Hassan Rowhani, die Wogen zu glätten. Er habe Verständnis für die Not der Bevölkerung, sagte er und beschwor seine Landsleute, sich nicht zu Gewalttaten hinreißen zu lassen. „Protestieren ist das legitime Recht der Bürger, aber Vandalismus ist etwas ganz anderes“, erklärte der iranische Präsident - vergeblich. Stattdessen eskalieren die Proteste, die sich mittlerweile zu einer landesweiten Rebellion in mehr als 100 Städten entwickeln. „Nieder mit dem Diktator“ und „Nieder mit der Islamischen Republik“, skandieren die Menschen. „Wir haben keine Arbeit und keine Zukunft“. In einer Reihe kleinerer Städte ist den Sicherheitskräften die Kontrolle offenbar entglitten. Augenzeugen aus Bushehr, wo sich Irans einziger kommerzieller Atommeiler befindet, berichteten von chaotischen Szenen.

Der langjährige Iranspezialist der amerikanischen Rand-Foundation, Alireza Nader, hält die Unruhen für das größte Aufbegehren der Bevölkerung seit dem Sturz des Schahs 1979. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Fars gingen bisher mehr als 150 öffentliche Gebäude, Banken, Tankstellen, Supermärkte, Koranschulen und Polizeiwachen in Flammen auf. In der südlichen Metropole Shiraz übernahmen die Demonstranten nach Angaben lokaler Journalisten die Kontrolle über die Stadt, über der schwarze Rauchwolken standen. In Teheran und Isfahan parkten Regimekritiker demonstrativ ihre Autos mitten auf der Stadtautobahn und legten so die wichtigsten Verkehrsachsen lahm. Ein Lastwagen kippte unter dem Jubel der Demonstranten Ziegelsteine auf die Imam Ali Schnellstraße.

"Vom Ausland gesteuert"

Für den Obersten Revolutionsführer Ali Khamenei sind die Menschen auf den Straßen vom Ausland gesteuerte Hooligans. Falls die Proteste nicht aufhörten, werde man entschieden einschreiten, erklärte am Montag drohend die Führung der Revolutionären Garden. Seit Sonntag ist das Internet im Iran nahezu komplett gekappt, die meisten Schulen blieben geschlossen. Wie die wenigen noch aus dem Lande hochgeladenen Videos zeigen, wird in den Straßen mittlerweile scharf auf Demonstranten geschossen. Junge Leute halten Patronenhülsen in den Händen, die sie aufgelesen haben. Andere zerstörten Überwachungskameras an Straßenkreuzungen oder öffentlichen Plätzen. Nach Angaben von Aktivisten sollen bisher mindestens 60 Menschen ihr Leben verloren haben.

Ausgelöst wurde die landesweite Revolte durch eine plötzlich mitten in der Nacht zu Freitag verkündete Preiserhöhung für Benzin. Bisher konnte jeder Autobesitzer 60 Liter pro Monat zu dem hochsubventionierten Preis von umgerechnet 7,5 Eurocent pro Liter kaufen, jetzt werden rund elf Eurocent fällig. Wer mehr als diese rationierte Grundmenge braucht, muss künftig 22 Eurocent pro Liter berappen, im internationalen Vergleich immer noch spottbillig. Trotzdem belastet dieser Schritt vor allem die Armen unter den 80 Millionen Iranern, die seit Jahren unter Inflation und Arbeitslosigkeit leiden, die als private Taxifahrer ihr mageres Einkommen aufbessern müssen und deren Lebensmittel sich nun durch den Anstieg der Transportkosten weiter verteuern.

Währung im freien Fall

Vor allem aber machen die von US-Präsident Donald Trump im Herbst 2018 reaktivierten Sanktionen der iranischen Wirtschaft zu schaffen. Selbst Funktionäre des Regimes räumen mittlerweile ein, dass es noch nie in den letzten vierzig Jahren eine derart verheerende ökonomische, soziale und politische Krise der Nation gab. Die iranische Währung befindet sich im freien Fall. Der Internationale Währungsfonds kalkuliert, dass Irans Wachstum in diesem Jahr um fast zehn Prozent schrumpft.

Die deutsche Bundesregierung appellierte am Montag an die iranische Führung, den Dialog mit den Demonstranten zu suchen und deren legitime Anliegen aufzugreifen. Ähnlich äußerte sich auch die französische Führung. Das Weiße Haus verurteilte den Einsatz von Waffen und erklärte, die Vereinigten Staaten unterstützten das iranische Volk in seinem friedlichen Protest gegen das Regime. Die Führung in Teheran treibe fanatisch ihr Nuklearprogramm voran, unterstütze Terrorismus und vernachlässige auf ihrem Kreuzzug die iranische Bevölkerung, hieß in Washington.