Zuerst ließen sie die Briten abblitzen, dann gab es erneut Probleme mit dem ungarischen Kandidaten Oliver Varhelyi: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen muss weiter auf ihre Team warten. Das Europaparlament lässt den ungarischen Kandidaten für den Posten des Erweiterungs- und Nachbarschaftskommissar in der EU-Kommission noch zappeln. Auf Betreiben der Sozialdemokraten und der Liberalen wurde beschlossen, dass er noch weitere schriftliche Fragen beantworten muss, bevor er grünes Licht bekommt, erfuhr die APA am Donnerstag aus Parlamentskreisen.

Aber zumindest für den französischen EU-Kommissarskandidaten Thierry Breton und die rumänische Bewerberin Adina Valean bekam von der Leyen grünes Licht. Breton wird in der nächsten EU-Kommission Binnenmarkt- und Industriekommissar, Valean übernimmt das Verkehrsressort. 

Die Briten verweigern

Am Mittwochabend hatte die britische Regierung mitgeteilt, keinen Kandidaten nominieren zu wollen. Die britische Regierung hatte in ihrem Brief zugleich betont, dass auch sie keine Verzögerung in der EU wolle. Grund für den Londoner Verzicht auf eine Kandidaten-Nominierung ist die für den 12. Dezember geplante Parlamentswahl. 

Zwar hatte man im Vertrag von Lissabon entschieden, dass es auch weniger Kommissare als Mitgliedsländer (derzeit 28) geben könne – aber ein weiterer Beschluss der Staats- und Regierungschefs hielt fest, dass doch jedes Land vertreten sein soll.

Vertragsverletzungsverfahren

Die EU-Kommission hat daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien gestartet wegen der Weigerung Londons, einen EU-Kommissionskandidaten zu benennen. Die EU-Kommission habe an Großbritannien ein Mahnschreiben geschickt, weil London damit seine Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag gebrochen habe, teilte die EU-Behörde am Donnerstagabend mit.

Zugleich setzte die EU-Kommission der britischen Regierung eine Frist bis 22. November, ihre Sicht darzulegen. Diese kurze Frist sei gerechtfertigt, weil die nächste EU-Kommission so früh wie möglich ihr Amt antreten müsse.

Die designierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will in ihrer Führungsriege Geschlechterparität haben und beinahe ist ihr das auch gelungen, doch das ursprünglich präsentierte Team wurde vom EU-Parlament, das ein wachsames Auge auf die Integrität der Kandidaten hat, zerzaust: Rumänien, Ungarn und Frankreich mussten neue Kandidaten nominieren; für diese drei hatte der Hürdenlauf zum Spitzenjob am Mittwoch begonnen, als ihre Bewerbung den Justizausschuss passierte. Am Donnerstag saßen sie auf der Prüfungsbank des Parlaments.

Olivér Várhelyi. Er war bisher Botschafter Ungarns bei der EU und gilt als enger Vertrauter von Ministerpräsident Viktor Orbán. Als EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftskommissar soll er dem Österreicher Johannes Hahn folgen. Gegenwind kommt besonders von den Grünen. Es sei äußerst merkwürdig, wenn jemand, „der ein dicker Freund der ungarischen Regierung ist, andere Staaten auf Rechtsstaatlichkeit abklopft“, sagte Fraktionschefin Ska Keller.

Auch Macrons neuer Kandidat wackelte

Am spannendsten war das Hearing für den Franzosen Thierry Breton. Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron hat bei den EU-Wahlen das Spitzenkandidatenprinzip zu Fall gebracht und steht auch wegen seiner Ablehnung der Beitrittsverhandlungen von Albanien und Nordmazedonien schwer unter Kritik. Sein Kandidat musste sich als Erstes von einem 34 Millionen Euro schweren Aktienpaket trennen und gilt dennoch als „verdächtig“, weil er Chef des IT-Konzerns Atos war und nun für Binnenmarkt und Industriepolitik zuständig sein soll sowie für Verteidigung. Schon im Justizausschuss kam er nur knapp mit zwölf zu elf Stimmen durch. Letztlich stimmten aber auch die Sozialdemokraten für ihn, obwohl sie Bedenken hatten, wegen der möglichen Interessekonflikte und der Größe des Ressorts.

Die konservativ-liberale EU-Politikerin Valean leitete den Parlaments-Ausschuss für Industrie und Forschung. Valean ersetzt die ursprüngliche rumänische Kandidatin Rovana Plumb. Sie überstand schon die Hürde der Prüfung von Interessenskonflikten im Rechtsausschuss des EU-Parlaments nicht. Grund waren Unklarheiten bei der Herkunft von Krediten der Sozialdemokratin von fast einer Million Euro.

Von Macron nachnominiert: Thierry Breton
Von Macron nachnominiert: Thierry Breton © (c) APA/AFP/ERIC PIERMONT (ERIC PIERMONT)

Zwei Briefe hat von der Leyen an Großbritannien geschrieben, das nun auch noch einen Kommissar nominieren muss. London teilte am Donnerstag mit, vor der Parlamentswahl am 12. Dezember keinen EU-Kommissar zu nominieren. Fieberhaft prüfen die Juristen, ob die Kommission notfalls auch ohne britisches Mitglied am 1. Dezember starten kann. Vermutlich ja: Es müsste ein Vertragsverletzungsverfahren gestartet werden, in der Zwischenzeit wären wohl alle Beschlüsse gültig.
Es ist ein holpriger Start der Kommission – die Ursachen liegen vor allem bei den Mitgliedsstaaten.

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