Es handelt sich bei der Visite von Alexander Lukaschenko um seinen ersten offiziellen Besuch in einem EU-Land seit dem Ende der EU-Sanktionen, die 2016 nach der Freilassung politischer Gefangener aufgehoben wurden.

Für Lukaschenko sei die Reise "hauptsächlich symbolisch", wie der politische Analytiker, Artjom Schrajbman, im Gespräch mit der APA, sagte. Warum gerade Wien als Zugangstor gewählt wurde, erklärt er so: "Österreich hat immer sehr pragmatische Beziehungen mit allen östlichen Nachbarn gepflegt, auch gegenüber Weißrussland". Österreich habe sich etwa immer für die Aufhebung der EU-Sanktionen ausgesprochen. Österreich ist außerdem der zweitgrößte Investor in Weißrussland (Belarus) nach Russland.

Lukaschenko führt ein Vier-Augen-Gespräch mit Van der Bellen. Auch Pressestatements der beiden Staatsoberhäupter sind vorgesehen. Die Themen werden laut Präsidentschaftskanzlei die Erinnerungspolitik - also der Erhalt des Gedenkortes Maly Trostenez - und bilaterale Fragen sein. In der NS-Vernichtungsstätte Maly Trostenez in der Nähe der Hauptstadt Minsk waren zwischen 1942 und 1944 mehr als 10.000 österreichische Juden ermordet worden. Van der Bellen war - gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier - im Juni 2018 bei der Einweihung der zweiten Ausbauphase des Mahnmalkomplexes und der Grundsteinlegung für das österreichische Denkmal zu Besuch in Minsk gewesen. Im Rahmen der Visite lud der Bundespräsident Lukaschenko nach Österreich ein.

Die Menschenrechte sind auch Thema

Bei dem Treffen am Dienstag werde es aber auch einen kritischen Dialog über die "problematische Frage der Menschenrechte" geben, teilte die Präsidentschaftskanzlei mit. Österreich und die EU plädieren für die Abschaffung der Todesstrafe. Allein in diesem Jahr wurden zwei verurteilte Schwerverbrecher hingerichtet. Drei neue Todesurteile wurden 2019 verhängt, wie das Menschenrechtszentrum Wjasna (Viasna) in Minsk berichtet.

Der Wjasna-Menschenrechtsverteidiger Valiantsin Stefanovic wünscht sich von Van der Bellen, dass dieser die Abschaffung der "ummenschlichen" Todesstrafe anspreche. "Unsere Regierung denkt, sie kann ihre eigenen Bürger töten und entscheiden, wer leben darf und wer nicht", meinte er im Gespräch mit der APA. Außerdem wünscht sich Stefanovic, dass in Wien die erhofften Schritte für eine politische Liberalisierung eingefordert werden, also konkrete Reformen bei den Bürger- und Menschenrechten.

Die Regierung hat zuletzt eine "softere Praxis" erkennen lassen, bestätigen Stefanovic und Schrajbman. Das bedeutet, dass "sie versucht, nicht harte Formen der Repression anzuwenden wie die Festnahme von Demonstrationsteilnehmern oder politischen Häftlingen." Derzeit gebe es nur mehr einen politischen Gefangenen im Land. Weißrussland will außerdem keine "Medienbilder" von Polizeigewalt mehr liefern. Schrajbman: "Die Behörden haben realisiert, dass dies ihrem Image schadet."

Keine freien und gleichen Wahlen

Sollte die Lage aber instabiler werden, haben die Experten keinen Zweifel daran, dass das Regime zu seinem früheren Repressionslevel zurückkehren würde. Zuletzt war dies im März 2017. Wegen Straßenprotesten gegen ein unbeliebtes Gesetzesvorhaben gingen Spezialeinheiten wieder brutal gegen Demonstranten und kritische Nichtregierungsorganisationen wie Wjasna vor.

Auch Wahlen seien in Weißrussland weder frei noch fair, sagen die Experten. Die Opposition habe kaum Chancen, auf sich aufmerksam zu machen. Lukaschenko gab selbst einmal Wahlfälschung zu - allerdings "in die andere Richtung": Er habe sein Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2006 nach unten korrigiert - denn einen Sieg mit 93 Prozent hätte man "nicht geglaubt".

Lukaschenko trifft in Wien am frühen Dienstagnachmittag auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Anschließend steht ein Wirtschaftsforum in der Wirtschaftskammer auf dem Programm. Am Abend ist ein informelles Arbeitsgespräch mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz geplant.

Starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland

Weißrussland sei derzeit in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, erklärte der Wirtschaftsforscher Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche im APA-Gespräch. "Belarus ist sehr stark abhängig von der russischen Wirtschaft." Die russische Wirtschaft befinde sich aber seit 2014 in einer Phase der Beinahe-Stagnation wegen dem schlechten Investitionsklima und den EU-Sanktionen. Das wirke sich auch auf Weißrussland aus. Das weißrussische Wirtschaftsmodell des "Staatskapitalismus" sei nur möglich, weil es von Russland im Gegenzug für politische Zugeständnisse viele Jahre lang Erdgas und Erdöl zu Preisen erhielt, die weit unter den Weltmarktpreisen lagen. Laut dem Ökonomen stoße dieses Wirtschaftsmodell an seine Grenzen. Eine Reform der Wirtschaftspolitik sei umvermeidlich. Ende 2019 soll das erste Atomkraftwerk des Landes in Betrieb gehen.

Lukaschenko selbst spricht laut Schrajbman davon, dass sein Land lange genug nur auf einem Flügel geflogen sei. Nun brauche es einen zweiten. Auch politisch distanzierte sich Lukaschenko etwas. Er kritisierte etwa die russische Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel und präsentierte sich im Ukraine-Konflikt als Vermittler. Lukaschenko will nach Österreich Lettland besuchen. "Österreich, Lettland und andere Länder sind eine Öffnung in dem Zaun, der rund um uns errichtet wurde", hatte der Präsident Ende Oktober erklärt. Lukaschenko deutete an, dass er an einer Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen zur EU interessiert ist. Der Kreml sieht die politischen Ambitionen Lukaschenkos im Westen freilich kritisch.