Nach dem erzwungenen Rücktritt des langjährigen Präsidenten Evo Morales steht Bolivien vor einer ungewissen Zukunft. In der Nacht auf Montag gab es in den Städten La Paz und El Alto teils gewalttätige Kundgebungen von Gegnern und Anhängern des Ex-Staatschefs. Wer sein Amt für den Übergang übernehmen würde, war zunächst unklar. Die UNO und die EU riefen zur "Zurückhaltung" auf.

Russland prangerte einen "Putsch" gegen den 60-Jährigen an, der seit 2006 an der Spitze des südamerikanischen Landes gestanden hatte. Am Montagmorgen, wenige Stunden nach seiner Rücktrittsankündigung, meldete sich Morales via Twitter noch einmal zu Wort. Seine Gegner beschimpfte er als "Rassisten und Putschisten" und forderte sie auf, Bolivien zu befrieden. "Sie sollen die Verantwortung für die Befriedung des Landes übernehmen und politische Stabilität garantieren", erklärte er.

Situation eskalierte

Nachdem er auch den Rückhalt der Armee und der Polizei verloren hatte, hatte der linksgerichtete Präsident am Sonntag nach wochenlangen Protesten seinen Rücktritt erklärt. Danach strömten in La Paz tausende Menschen auf die Straßen, schwenkten die bolivianische Fahne und feierten seinen Abgang mit Böllern. In der Nacht auf Montag eskalierte die Situation jedoch.

Wie örtliche Medien berichteten, wurden in La Paz sowie im nahegelegenen El Alto unter anderem Busse sowie die Häuser mehrerer prominenter Gegner des linksgerichteten Ex-Staatschefs in Brand gesetzt. In beiden Städten patrouillierten später Militäreinheiten.

UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich "tief besorgt" und rief zum Gewaltverzicht auf. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mahnte die Konfliktparteien zu "Zurückhaltung und Verantwortung", damit das Land friedlich zu "glaubwürdigen" demokratischen Neuwahlen geführt werden könne.

Mit Morales traten auch die von der Verfassung vorgesehenen Vertreter des Präsidenten zurück: Vize-Präsident Alvaro García sowie die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern. Die Oppositionspolitikerin Jeanine Añez, zweite Vize-Präsidentin des bolivianischen Senats, beanspruchte den Posten der Übergangspräsidentin für sich. Dabei werde sie "das alleinige Ziel verfolgen", Neuwahlen in Bolivien auszurufen, erklärte sie.

Morales teilte via Twitter weiter mit, gegen ihn würde ein "illegaler" Haftbefehl vorliegen; ein Polizeisprecher dementierte dies jedoch. Derweil suchten 20 bolivianische Regierungsvertreter und Abgeordnete Zuflucht in der mexikanischen Botschaft in La Paz. Mexiko bot dem 60-Jährigen Asyl an.

Ein Sprecher des russischen Außenministeriums erklärte, die Proteste der Opposition hätten nun zu einem "inszenierten Staatsstreich" geführt. Auch linksgerichtete Politiker aus Nachbarstaaten verurteilten die Vorgänge in Bolivien. Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sagte, sein "Freund Morales" sei durch einen "Putsch" entmachtet worden. Auch der neu gewählte argentinische Staatschef Alberto Fernández sprach von einem "Putsch".

Auslöser für die wochenlangen Proteste in Bolivien war die umstrittene Präsidentenwahl vom 20. Oktober. Morales, der erste indigene Staatschef Boliviens, war für eine vierte Amtszeit angetreten. Die Verfassung hätte eine weitere Kandidatur eigentlich nicht zugelassen, das Verfassungsgericht gestand ihm dies aber dennoch zu.

Der vom Wahlgericht verkündete Wahlsieg von Morales bereits in der ersten Runde wurde von der Opposition als Betrug angeprangert und nicht anerkannt. Am Sonntagabend wurden die Präsidentin des Wahlgerichts, María Eugenia Choque, sowie ihr Stellvertreter festgenommen.

Zuletzt hatte am Sonntag auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wegen schwerwiegender Unregelmäßigkeiten gefordert, die Wahl für ungültig zu erklären. Bei den Protesten kamen in Bolivien drei Menschen ums Leben, mehr als 250 weitere wurden verletzt.