Seit dem Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien befinden sich nach Schätzungen des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF fast 70.000 Kinder auf der Flucht. Bis Montag seien in Nordostsyrien mindestens vier Kinder getötet und neun weitere verletzt worden, erklärte UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore am Dienstag in New York. Zudem gebe es Berichte über sieben getötete Kinder in der Türkei.

Laut UNICEF gerieten seit Beginn der Kämpfe in Nordostsyrien drei Gesundheitseinrichtungen sowie Krankenwagen und eine Schule unter Beschuss. Das Wasserwerk A'Iouk in Hassake, das fast 400.000 Menschen versorgt, ist den Angaben zufolge außer Betrieb.

Das Kinderhilfswerk befürchtet, dass angesichts der Gewalt mindestens 170.000 Kinder in der Region auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden. Fore rief die Konfliktparteien "sowie jene, die Einfluss auf sie haben", zu auf, Kinder zu jeder Zeit zu schützen. "Diejenigen, die im Nordosten und in anderen Landesteilen Syriens kämpfen, müssen die zivile Infrastruktur schützen und dürfen sie nicht für militärische Zwecke nutzen", forderte sie.

Waffenexporte auf Eis

Als Reaktion auf die türkische Militäroffensive in Nordsyrien legt nun auch Großbritannien die Waffenexporte in die Türkei auf Eis.  Eine Reihe von EU-Ländern wie Deutschland und Frankreich schränkten ihre Waffenexporte als Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Syrien bereits ein. Österreich liefert seit 2016 keine Waffen mehr in die Türkei.

Die EU-Außenminister hatten am Montag in Luxemburg die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, nationale Waffenlieferstopps in die Türkei zu beschließen. Auf ein gemeinsames Waffenembargo verzichtete die EU indes. Die EU-Staaten insgesamt verpflichteten sich zu "starken nationalen Positionen mit Blick auf ihre Waffenexporte an die Türkei" auf Grundlage von EU-Kriterien, wonach diese die Stabilität einer Region nicht gefährden dürfen.

Stopp für Autofabrik

Der deutsche Autokonzern Volkswagen hat die Entscheidung über eine neue Autofabrik in der Türkei vor dem Hintergrund der türkischen Militäroffensive im angrenzenden Syrien verschoben. Der Ministerpräsident des an VW beteiligten deutschen Bundeslandes Niedersachsen, Stephan Weil, sagte: "So lange die Verhältnisse so sind, wie sie jetzt sind, kann ich mir nicht vorstellen, dass Volkswagen mit erheblichem Engagement in der Türkei investieren wird." VW hatte eine finale Entscheidung nach monatelangen Verhandlungen Anfang Oktober geplant.

Der Konflikt und die Katastrophe in Nordsyrien hätten jetzt eine völlig neue Qualität, erklärte Weil in Hannover. Der NATO-Partner Türkei habe das Völkerrecht gebrochen, eine gewaltige Flüchtlingswelle ausgelöst, die Gefahr durch ausgebrochene IS-Kämpfer habe sich verschärft, und es stünden sich vor Ort bis an die Zähne bewaffnete Truppen der Türkei und Syriens gegenüber. Das alles sei ein Verstoß gegen Menschenrechte und internationales Recht. Unter diesen Bedingungen könne Volkswagen keine Milliardeninvestition in der Türkei vornehmen.

Widerstand der Kurden

Auch am siebenten Tag der türkischen Offensive in Nordsyrien leisten die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) weiter erbitterten Widerstand: In der Grenzstadt Ras al-Ain gebe es weiter heftige Kämpfe, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag. Die kurdische Miliz habe in der Nacht in der Nähe der Stadt einen großen Gegenangriff auf die türkischen Truppen und ihre syrischen Verbündeten gestartet.

Durch die Kämpfe wurden nach UN-Angaben bereits 160.000 Menschen in die Flucht gezwungen. Nach Zählung der Beobachtungsstelle wurden seit vergangenem Mittwoch 135 kurdische Kämpfer, 120 protürkische Milizionäre und 70 Zivilisten getötet.

Die kurdische Selbstverwaltung teilte am Dienstag mit, die humanitäre Hilfe für die Regionen unter ihrer Kontrolle sei komplett zum Erliegen gekommen, da die Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter abgezogen hätten. In der Folge der türkischen "Aggression" habe sich die Situation der Flüchtlinge weiter verschlechtert.

Bürgermeister verhaftet

In der Türkei sind vier Bürgermeister kurdischer Städte unter dem Vorwurf festgenommen worden, Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu haben. Die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) teilte am Dienstag mit, die Polizei habe die Ko-Bürgermeister von Hakkari, Yüksekova, Ercis und Nusaybin festgenommen. Laut Staatsmedien werden ihnen Kontakte zur PKK vorgeworfen.

Die Festnahmen erfolgen vor dem Hintergrund der türkischen Offensive gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien. Die Türkei betrachtet die syrische Kurdenmiliz als Bedrohung, da sie eng mit der PKK verbunden ist. Seit Beginn der Offensive hat die türkische Staatsanwaltschaft dutzende Menschen wegen Kritik an dem Einsatz festgenommen und Ermittlungen gegen die beiden HDP-Vorsitzenden eingeleitet.

Erdogan bleibt stur

Die Türkei hatte in der vergangenen Woche im syrischen Grenzgebiet eine Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG gestartet. Am Montag zeigte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan trotz internationaler Kritik entschlossen, den Einsatz fortzusetzen, bis "der endgültige Sieg errungen" sei. US-Präsident Donald Trump kündigte unterdessen Sanktionen gegen die Türkei, den Abbruch von Handelsgesprächen und die Anhebung von Zöllen auf türkischen Stahl an.