Nach seiner Niederlage vor dem Obersten Gerichtshof plädiert der britische Premierminister Boris Johnson für Parlamentswahlen. "Wir sollten eine Wahl abhalten", sagte Johnson vor Journalisten, als er von einem Treffen in New York kam.

In britischen Regierungskreisen hieß es, Johnson werde nicht zurücktreten. Er werde im Laufe des Tages eine Telefonkonferenz mit Ministern seines Kabinetts halten und nach seiner Rede vor den Vereinten Nationen noch am Dienstag zurück in die Heimat fliegen.

"Komme was wolle"

Zuvor hatte sich auch Johnson von seiner Niederlage vor dem Obersten Gerichtshof noch unbeeindruckt gezeigt und erklärt, er wolle den EU-Austritt seines Landes bis Ende Oktober vorantreiben. "Nach derzeitigem Rechtsstand verlässt Großbritannien die EU am 31. Oktober, komme was wolle", sagte Johnson vor Journalisten am Rande der UNO-Vollversammlung in New York.

Das oberste britische Gericht hatte zuvor die von Johnson bis Mitte Oktober angeordnete Zwangssitzungspause des Unterhauses für unrechtmäßig erklärt. Es war eine weitere herbe Niederlage für den Regierungschef im Machtkampf mit dem Parlament. Anfang September hatte das Unterhaus binnen einer Woche zwei Mal Anträge Johnsons auf Neuwahlen abgelehnt.

Nach dem höchstrichterlichen Urteil gegen die von der Regierung verfügte Zwangspause des Parlaments kommen die Abgeordneten schon am morgigen Mittwoch wieder zusammen. Das Parlament werde um 12.30 Uhr (MESZ) wieder zusammentreten, teilte der Präsident des Unterhauses, John Bercow, am Dienstag in London mit.

"Rechtsstaat in Großbritannien ist quicklebendig"

Führende EU-Abgeordnete haben das Londoner Urteil gegen die Zwangspause des britischen Parlaments begrüßt. Zugleich verlangten sie am Dienstag Klarheit bei dem für den 31. Oktober geplanten EU-Austritt. "Zumindest ein großer Trost in der Brexit-Saga: Der Rechtsstaat in Großbritannien ist quicklebendig", twitterte der Brexit-Beauftragte im EU-Parlament, Guy Verhofstadt.

Für Othmar Karas, Vizepräsident des Europaparlaments, zeigt das Urteil "einmal mehr, dass dem britischen Premier Johnson jede politische Redlichkeit fehlt. Er gibt vor, mit dem Brexit den demokratischen Willen der Briten umsetzen zu wollen", sagte Karas in einer ersten Reaktion, "schaltet aber das von den Briten gewählte Parlament auf illegale Art und Weise aus, weil er dort keine Mehrheit mehr hat. Jetzt sollten auch bei den treuesten Fans von Johnson die Alarmglocken läuten. Dieses Urteil stärkt den Parlamentarismus."

Auch SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder begrüßt das Urteil: "Boris Johnsons autoritärer Versuch seinen No-Deal Brexit am Parlament vorbei zu boxen ist krachend gescheitert. Die Mehrheit im britischen Unterhaus ist gegen einen Chaos-Brexit. Großbritannien braucht mitten in der größten politischen Krise des Landes seit Jahrzehnten einen breiten gesellschaftlichen Schulterschluss. Boris Johnson muss endlich Dialog- und Kompromissbereitschaft zeigen, um ein No-Deal-Desaster zu verhindern."