Kerzen, Teddybären, Billetts, auf denen "Mitgefühl" und "An die Mama des Jungen" geschrieben steht. Eilig, aber tief betroffen wirkende Menschen, die ihren Zug zur Arbeit erwischen wollen, am Bahnsteig möglichst im hinteren Bereich warten: Auch am Tag nach der offenbar völlig willkürlichen Attacke auf Bahnsteig 7 ist Entsetzen das vorherrschende Gefühl auf dem Frankfurter Hauptbahnhof.

Drei Opfer, eines tot

Ein Achtjähriger, der mit seiner Mutter auf den Zug wartete, wurdevon einem Mann aus Eritrea vor einen einfahrenden ICE gestoßen.Der 40-Jährigen gelang es nicht, den Bub vom Gleisbett zu zerren – er starb vor ihren Augen. Ein drittes Opfer, eine ältere Frau, wurde verletzt, konnte den feigen Angreifer aber abwehren.

Die Debatte darüber, was sicherheitstechnisch möglich ist und ausländerrechtlich nötig ist, ist nun in Deutschland voll entbrannt. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) unterbrach seinen Urlaub und trat gestern vor die Presse: Es scheint schier unmöglich, nun einfach zur Tagesordnung überzugehen, denn: Bei so einem grässlichen Kapitalverbrechen, sei es "geradezu Pflicht der Politik, Konsequenzen zu ziehen". Die Sicherheit an Deutschlands 5600 Bahnhöfen müsse erhöht werden – freilich weisen diese häufig völlig unterschiedliche Strukturen.

Holger Münch, Horst Seehofer und Dieter Romann, Präsident des Bundespolizeipräsidiums
Holger Münch, Horst Seehofer und Dieter Romann, Präsident des Bundespolizeipräsidiums © (c) APA/AFP/dpa/KAY NIETFELD

"Totale Sicherheit" sei ein "Irrglaube" – man sei aber „nie so gut, dass man nicht noch besser werden kann“. Seehofer kündigte dazu baldige Spitzengespräche mit den Deutschen Bundesbahnen und dem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) an. "Wir brauchen dringend mehr Polizeipräsenz", hielt Seehofer fest. Das sei wichtiger als manch neuer Paragraf. Stärkere Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist nun ein Thema.



Über das Tatmotiv war auch gestern nichts bekannt, es gibt aber neue Details zur Person: Der mutmaßliche Täter, selbst dreifacher Vater und verheiratet, war 2006 illegal in die Schweiz eingereist und erhielt dort 2008 eine Niederlassungsberechtigung. Der 40-jährige Afrikaner galt als "Beispielfall gelungener Integration". Gleichzeitig wurde er von den Schweizer Behörden seit Donnerstagabend gesucht – weil er eine Nachbarin mit einem Messer bedroht, gewürgt und dann eingesperrt hatte. Eine Radikalisierung schloss man in der Schweiz aus, allerdings sei der Verdächtige dort in psychiatrischer Behandlung gewesen.



Seehofer ging auch auf die aufenthaltsrechtliche Seite und die Migrationsdebatte ein. Mindestens 43.000 unerlaubte Einreisen habe es 2018 gegeben – daher müsse man „die Kontrolle der Grenzen überall stärker in den Blick nehmen." Er betonte die "Werte-Erosion" und die damit einhergehende Entwicklung – 13 Fälle roher Gewalt zuletzt ließen die Alarmglocken läuten. Insgesamt seien ausländerrechtliche Änderungen zwar denkbar. In diesem Fall sehe er aber "keinen Anlass für eine Änderung", so Seehofer. Ausländerkriminalität sei nicht zu verharmlosen, aber auch nicht zu instrumentalisieren.



Erst eine gute Woche zuvor war ja im Bahnhof der Stadt Voerde in Nordrhein-Westfalen eine 34-jährige Mutter vor einen Regionalzug gestoßen worden und gestorben. Der 28-jährige Tatverdächtige – ein in Deutschland geborener Serbe – sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Auffällig: In beiden Fällen kannten sich Täter und Opfer nicht.



Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, bestätigte eine "Überrepräsentanz" von Ausländern in den Kriminalstatistiken – und kündigte noch konsequenteres Vorgehen an. Recht deutlich hatte sich zuvor CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor zum Verbrechen in Frankfurt geäußert: "Nach dieser furchtbaren Straftat braucht es jetzt rasche und spürbare Konsequenzen für den Täter. Zusätzlich zum Strafverfahren sollten auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen diskutiert werden. Darüber hinaus bin ich offen für eine Diskussion über bessere Sicherheitsvorkehrungen an unseren Bahnhöfen."

Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Polizeigewerkschaft hält gegenüber der Kleinen Zeitung fest, dass die Bahnanlagen und Bahnreisen in Deutschland sicher seien. Zumindest hier könne er keine Häufung blinder Gewalt wahrnehmen. Sehr wohl würden aber "seit 2014 Körperverletzungsdelikte mittels Waffen und anderen gefährlichen Werkzeugen, insbesondere Messer, signifikant zunehmen." So werde das subjektive Sicherheitsgefühl der Gesellschaft negativ beeinflusst.

"Besondere Tragik des Verbrechens"

Auch er ortet Grenzen, Taten wie diese zu vermeiden: "Keine Prävention wird einen Täter, der heimtückisch die Gefahr der Bahnsteigkante nutzt, aufhalten. Wer jetzt schnelle Lösungen fordert, muss sich fragen, was in der Vergangenheit nicht umgesetzt wurde. Darin liegt die besondere Tragik des Verbrechens." Mögliche Schutzmaßnahmen müssten im Verhältnis Freiheit zu Sicherheit überprüft werden. Reisende mögen besonders umsichtig seien. Abschließend betont Radek: "Dies ist keine Zeit, politische Ziele zu verfolgen. Unsere Gedanken gelten den Opfern und Hinterbliebenen."

Für Anke Rehlinger, saarländische SPD-Verkehrsministerin offenbare Taten wie die aktuelle "keine Sicherheits-, sondern eine Menschlichkeitslücke."