Der Freiheitsentzug für kritisch gesinnte Moskauer geht weiter: Am Sonntagabend nahmen Polizisten 21 Aktivisten und Journalisten fest, sie hatten sich vor dem Krankenhaus Nr. 64 versammelt. Dorthin war morgens der Oppositionspolitiker Alexei Nawalny eingeliefert worden, der zurzeit wieder einmal einen 30-tägigen Arrest wegen Aufrufs zu einer nicht genehmigten Kundgebung absitzt. Bei Nawalny wurde eine Hautentzündung diagnostiziert, seine persönliche Ärztin Anastasia Wassiljewa sprach indes von Vergiftungserscheinungen. Man hatte ihr erst spät den Zugang zu ihrem Patienten gestattet.

Brutalität gegen Demonstranten

Die Moskauer Behörden demonstrieren seit Tagen eine Härte im Umgang mit der Opposition, die nach Ansicht vieler Beobachter in Brutalität übergegangen ist. "Die Sicherheitsorgane haben alle Grenzen überschritten", sagt der Menschenrechtler Lew Ponomarjow unserer Zeitung. "Ob nun Vladimir Putin die Kommandos dazu gegeben hat oder die Polizeichefs vor Ort." Am Samstag waren bei Protesten in der Moskauer Innenstadt nach Angaben des Rechtsschutzportals OWD-Info 1373 festgenommen und 25 mit Gummiknüppeln zusammengeschlagen worden.

„Absoluter Antirekord“, schreibt die Zeitung „Kommersant“. Mehrere Demonstranten wurden schwer verletzt. Schon am Vortag waren zahlreiche Kandidaten für die im September anstehenden Stadtratswahlen festgenommen worden. Wie Nawalny hatten auch sie zuvor zur nicht genehmigten Demonstration aufgerufen. Mitte Juli hatten ihnen die Wahlbehörden wegen angeblich nicht korrekter Unterstützungslisten die Teilnahme an den Wahlen versagt. Die staatlichen Ärzte haben Nawalny mittlerweile gesundgeschrieben und wieder zurück in seine Arrestzelle geschickt.

Einschränkung der Menschenrechte

Russland erlebt seit Jahren Eskalationsschrauben: Oppositionelle Politiker werden erst gar nicht zu Wahlen zugelassen, Kundgebungen gegen staatliche Willkür nicht genehmigt. Demonstranten landen massenhaft in den vergitterten Bussen der Polizei. "Die Menge benahm sich friedlich", urteilt Ilja Schablinski, Mitglied des Präsidialen Menschenrechtsrats. "Ihre einzigen Mittel gegen die Polizeikolonnen waren Sprechchöre und Ortswechsel." Er sieht hinter dem Vorgehen der Sicherheitskräfte "demonstrative Grausamkeit und das Bedürfnis, Angst zu machen". Die Behörden sollten ihre Politik bei der Genehmigung von Massenkundgebungen überdenken.

Putis Partei droht Niederlage

Die im September in Moskau anstehenden Stadtratswahlen drohen für Wladimir Putins Partei "Einiges Russland" zur lokalen Existenzkrise zu geraten. Nach einer Umfrage der Stiftung "Petersburger Politik" wollen nur noch 13 Prozent der Moskauer für die "Einheitsrussen" stimmen. Wie kläglich die Lage der Staatspartei ist, demonstriert der Entschluss, die Parteizugehörigkeit ihrer eigenen Kandidaten im Wahlkampf zu verbergen. "Die Partei verliert seit Jahren in ganz Russland Regionalwahlen – selbst gegen Spoilerkandidaten der kremlnahen Pseudoopposition", sagt der Politologe Juri Korgonjuk. Die stagnierende Wirtschaft drückt auf die Stimmung, Wirtschaftsexperten sehen kein Ende des Abwärtstrends. Damit wachsen auch die sozialen Unruhen.

Schweigen um radioaktive Wolke

Für Aufregung sorgte jüngst auch eine Studie zu einer leicht radioaktiven Wolke, die 2017 über Europa gezogen war. Diese soll von der Nuklearanlage Majak im südlichen Ural ausgegangen sein, wie Forscher im Fachblatt "Pnas" schreiben. Es habe zwar keinen Reaktorunfall und auch keine Gesundheitsbedrohung gegeben. Bislang gab es aber auch noch keine offizielle Stellungnahme des Kremls.