Für Joe Sestak ist kein Platz auf der Bühne, wenn heute und morgen die Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten das erste Mal aufeinandertreffen. Sestak, ehemaliger Kongressabgeordneter aus Pennsylvania, ist der 24. Vertreter der Oppositionspartei, der angekündigt hat, Donald Trump aus dem Weißen Haus vertreiben zu wollen. Die Chancen, dass er wirklich Präsident wird, gehen gegen null.

Für andere Bewerber sieht es besser aus. Präsident Trump gilt als schlagbar. Seine Zustimmungswerte sind niedrig. Auch wird das Weiße Haus von Skandalen erschüttert. Zuletzt beschuldigte eine weitere Frau Trump, sie in den 1990er-Jahren vergewaltigt zu haben. Es ist bereits der 22. Vorwurf des sexuellen Übergriffs gegen den Präsidenten. Trump dementierte. Die Frau sei „nicht sein Typ“.

Die Demokraten wollen sich jedoch nicht allein darauf verlassen, dass Trump durch die Empörung der Öffentlichkeit die Präsidentschaft verliert. Dass klare Kante allerdings hilfreich sein kann, hat Elizabeth Warren bewiesen. Die Senatorin aus Massachusetts hat sich im Ansehen der demokratischen Wähler Stück für Stück nach oben gearbeitet. Sie war die erste prominente Kandidatin, die sich nach der Veröffentlichung des Mueller-Reports für Trumps Amtsenthebung aussprach. Das kam bei der Basis gut an. Viele ihrer Konkurrenten sind Warren seither gefolgt.

Ideenfabrik gegen linke Ikone

Gleichzeitig überschwemmte sie die Öffentlichkeit mit detaillierten Programmvorschlägen. So hat sich die frühere Harvard-Professorin einen Ruf als Ideenfabrik erarbeitet, die mit ihren progressiven Plänen mittlerweile Unterstützung vom linken Rand der Demokraten bis weit in den Mainstream hinein bekommt. Längst wird sie Senator Bernie Sanders gefährlich, dem vermeintlichen Säulenheiligen der amerikanischen Linken, der ebenfalls Präsident werden will.

Warrens Strategie richtet sich an die traditionelle Basis: Weiße Industriearbeiter, die mit Hillary Clinton nichts anfangen konnten und 2016 zu Trump überliefen oder zu Hause blieben. Bislang geht das für sie auf. In landesweiten Umfragen, aber auch in den wichtigen frühen Vorwahlstaaten Iowa und New Hampshire hat sie sich in die Spitzengruppe vorgearbeitet. Doch diesen Ansatz nutzt sie nicht allein. Sie konkurriert direkt mit dem aussichtsreichsten Bewerber um die Kandidatur: Ex-Vizepräsident Joe Biden.

Der 76-Jährige ist beliebt, prominent und finanziell gut ausgestattet. An seinen Mitbewerbern arbeitet er sich kaum ab. Dafür greift er den Präsidenten direkt an. Er führt seine Kampagne so, als hätte er die Nominierung bereits gewonnen. Biden kann auf eine stabile Anhängerschaft zählen. In Umfragen liegt er konstant zwischen 30 und 35 Prozent – angesichts von 23 Konkurrenten ein beachtlicher Wert. Auch er umwirbt die weiße Industriearbeiterschaft seines Heimatstaats Pennsylvania und des Mittleren Westens, um die dortigen, traditionell demokratisch wählenden Staaten von Trump zurückzugewinnen.

Dafür setzt er auf einen pragmatischen Zentrismus, vor allem aber auf das Versprechen, Normalität ins Weiße Haus zurückzubringen. Mit Debatten über Sozialismus oder Identitätspolitik, die unter demokratischen Aktivisten heftig geführt werden, hält er sich nicht auf.
Biden hat den Vorteil, dass er auch auf die Unterstützung vieler afroamerikanischer Wähler zählen kann. Hier gut abzuschneiden ist für jeden Demokraten wichtig – das gilt für die Vorwahl genauso wie für die eigentliche Präsidentschaftswahl.

Minderheitszugehörigkeit als Bonus

Als Obamas Vize kann Biden von dessen Beliebtheit zehren, auch seine moderate Politik kommt gut an. Andere Kandidaten, etwa das vermeintliche Wunderkind Pete Buttigieg, tun sich mit dieser Wählergruppe hingegen schwer. Seine Konkurrenten wollen Biden das Feld aber nicht kampflos überlassen, da es hier viel zu gewinnen gibt.

Für Kamala Harris, Senatorin aus Kalifornien, könnte die Unterstützung der Minderheiten der Schlüssel zur Nominierung sein. Die Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin steht für eine andere Theorie, wie der Präsident zu schlagen sei. Anstatt Trump-Anhänger zurückzuholen, könnte es lohnender sein, potenzielle Wähler unter Afroamerikanern und Zuwanderern zu aktivieren.

Die Wahlbeteiligung in diesen Bevölkerungssegmenten ist traditionell niedrig. Doch das könnte sich ändern. Zuletzt bewiesen das die Zwischenwahlen, bei denen ein stärkeres nicht weißes Wähleraufkommen erheblich dazu beitrug, dass die Demokraten das Repräsentantenhaus zurückeroberten. Die umgekehrte Erfahrung musste Hillary Clinton machen. Hätten die Minderheiten-Wähler in den Städten des Mittleren Westens sie 2016 so stark unterstützt wie Präsident Obama vier Jahre zuvor, wäre sie heute Präsidentin.

Welche Strategie sich durchsetzen wird, dürfte in Miami heftig umstritten sein. Eine Entscheidung steht noch nicht an. Die erste Vorwahl ist ein halbes Jahr entfernt. Und endabgerechnet wird erst, wenn es gegen Trump geht. In 596 Tagen.