Im Finale wurde Boris Johnson doch noch sanft: Jahrelang tat der Briten-Premier so, als sei ein harter Brexit das Beste, was dem Königreich passieren könnte. Kompromiss oder gar Konsenspolitik sind seine Sache nicht. Makrele um Makrele feilschte er bei den Fischereirechten. Jetzt, so berichten Diplomaten, hat der Poltergeist in der Downing Street doch noch Kurs auf Einigung gesetzt. Ganz überraschend kam die Wende dennoch nicht: Die Briten schienen allmählich die Nase voll zu haben von ihrem Premier – explodierende Corona-Zahlen, mutiertes Virus, gekappte Flüge, LKW-Staus, Versorgungsengpässe, nach langem Hin- und Her dann doch die Absage von Weihnachtsfeiern in den stark betroffenen Gebieten: Einen harten Brexit hätte man nur noch schwer verkraftet. Johnson geriet letztendlich nicht nur in Brüssel, sondern auch daheim zu stark unter Druck.

Boris Johnson ist der einzige Politiker im Königreich, den alle beim Vornamen nennen: Boris. „Er macht den Menschen bessere Laune. Selbst Leute, die ihn nicht gewählt haben, fangen an zu lächeln“, schreibt Boris Johnsons Biograf Andrew Gimson. Ohne Zweifel, Bo-Jo ist ein Typ.

Als er sich bei einem Interview vor seiner Haustür selbst aussperrte oder zwei kleine Großbritannien-Flaggen schwenkend auf einer Seilbahn hängen blieb und nach einer Leiter verlangte, hatte Boris Johnson die Lacher auf seiner Seite. „Wenn Sie die Konservativen wählen, bekommt Ihre Frau größere Brüste, und Sie haben bessere Chancen auf einen BMW M3“, sagte Johnson einmal im Tory-Wahlkampf. Der Mann, der kurzzeitig auch Journalist war, bei der „Times“ aber hinausgeworfen wurde, weil er ein Zitat eines Interviewpartners frei erfunden hatte, liefert immer neuen Stoff.

Schon als Kind wollte Boris Johnson „König der Welt“ werden. Das sagt zumindest eines seiner drei Geschwister, Schwester Rachel, die für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ist. Boris wurde immerhin Außenminister in der Ära May (2016 bis 2018), davor war er zwei Perioden lang Bürgermeister von London. Von Mai 2008 bis Mai 2016. Bei den Londoner Olympischen Spielen 2012 wurde er wegen der fröhlichen Stimmung und des reibungsfreien Ablaufs selbst als Olympiasieger gefeiert. Als Bürgermeister stattete der leidenschaftliche Radfahrer London mit Leihfahrrädern aus, um den Verkehr einzudämmen. Als Bürgermeister war er beliebt. Bis heute punktet er stark bei jenen, die den Tories den Rücken gekehrt hatten.

Der Blonde mit dem wirren Schopf, der aus adeligem Hause stammt, weitschichtig mit den Windsors verwandt ist und eigentlich Alexander Boris de Pfeffel Johnson heißt, wurde am 19. Juni 1964 als Sohn englischer Eltern in New York geboren. Im Familienstammbaum findet sich ein osmanischer Zweig ebenso wie deutsche Aristokratie. Er absolvierte die klassische britische Kaderschmiede, erst Eton, dann Oxford. Dort machte er den Abschluss in Klassischer Philologie und spricht fließend Italienisch und Französisch.

Über lange Zeit wurde Johnsons Kindheit als idyllisch beschrieben, bis seine jüngere Schwester in der „Sunday Times“ erklärte, dass ihre Mutter, die Künstlerin Charlotte Johnson, unter Depressionen litt und oft in der Psychiatrie war.

Die Kinderfrau

Der kleine Boris und seine drei Geschwister wurden von einer Kinderfrau aufgezogen, einem „Turm der Stärke“, als Vater Stanley einen Job als Beamter in der EU-Kommission bekam. Boris Johnson verbrachte prägende Kindheitsjahre in Brüssel, war später auch Brüssel-Korrespondent für den „Telegraph“. In seiner Zeit in Belgien trennte er sich von seiner ersten Ehefrau Allegra Mostyn-Owen und heiratete kurz darauf Marina Wheeler, mit der er vier gemeinsame Kinder hat. Johnsons Neigung zu Affären bescherte ihm nicht nur Ehe-Ende Nummer zwei, sondern auch ein fünftes Kind aus einer Affäre.

Seit zwei Jahren ist er mit Carrie Symonds zusammen, der Kommunikationschefin der Konservativen, die fast 24 Jahre jünger ist als er. Im April, kurz nachdem Johnson von seiner eigenen Corona-Erkrankung genesen war, kam ihr gemeinsames Kind auf die Welt. Für Johnson ist es bereits das sechste.

Schillernde Figur

Boris Johnson ist eine schillernde Figur. Sein großes Vorbild ist Winston Churchill. Über den bedeutenden britischen Staatsmann des 20. Jahrhunderts, der Hitler Paroli bot und ohne den 1940 die Welt einen anderen Lauf genommen hätte, schrieb Boris Johnson das Buch „Der Churchill Faktor“.

Großes Vorbild: Churchill

Fasziniert von Churchills Humor, Sprachwitz, Unkonventionalität und Abenteurertum, wurde es eine Liebeserklärung an den britischen Premier - und wohl auch an sich selbst, denn Johnson vergleicht sich gern mit Churchill, dem konservativen Rebellen, der klüger und witziger war als seine Konkurrenten im Spitzenfeld der Tories. Und dessen Schuhe für Johnson denn doch zu groß sind. Immerhin eint Churchill und Johnson die Lust am Bonmot. Theresa Mays Brexit verglich Johnson einmal mit Klopapier: „Weich und sehr lange.“

1946, in seiner legendären Zürcher Rede „Let Europe arise“ , war es just Winston Churchill, der erstmals die Idee von den „Vereinigten Staaten von Europa“ skizzierte - erstaunlicherweise schon damals ohne Großbritannien. 2016 war Boris Johnson einer der Protagonisten der Brexit-Kampagne. Auf roten Brexit-Bussen, mit denen er für den EU-Austritt werbend durchs Land tourte, versprach Johnson 350 Millionen Pfund, die Großbritannien durch den EU-Ausstieg wöchentlich einsparen könnte. Johnson wurde von einer Privatperson geklagt, die Öffentlichkeit während der Kampagne für den Brexit 2016 gezielt mit falschen Behauptungen in die Irre geführt zu haben. Erst kürzlich entschied der Londoner High Court, dass sich der Politiker nicht vor Gericht verantworten muss.

Am Tag nach der folgenschweren Brexit-Abstimmung im Jahr 2016, als die Briten zu googeln begannen, was der Brexit bedeutet und wofür sie überhaupt gestimmt hatten, ging Johnson mit dem Earl of Spencer, dem Bruder von Prinzessin Diana, entspannt auf eine Partie Cricket. Tory-Politikerin Amber Rudd, einst Innenministerin, brachte Johnsons Vor- und Nachteile einmal auf den Punkt: „Er ist Leben und Seele der Partei, aber nicht der Mann, von dem man abends nach Hause gefahren werden will.“

Bo-Jo hat einen fulminanten Wahlsieg geschafft
Bo-Jo hat einen fulminanten Wahlsieg geschafft © AP