Das Ende der französischen Konservativen erinnert an „Stirb langsam“, an die Serie von Action-Filmen mit Bruce Willis, in denen sich der Tod über mehrere Episoden hinzieht. Das dramatisch schlechte Ergebnis bei den Europawahlen scheint das Schicksal von „Les Républicains“ (LR) nun endgültig besiegelt zu haben. Ein klarsichtiger Youtuber war also gar nicht nötig, um der Partei den Todesstoß zu versetzen. Die Wähler haben das ganz allein übernommen: Acht Prozent haben Frankreichs Konservative bei den Europawahlen gemacht, das schlechteste Ergebnis in ihrer langen Parteigeschichte.

Parteichef Laurent Wauquiez gab Emmanuel Macron die Schuld am eigenen Wahldebakel und rief zu Generalständen der Konservativen im September auf. So lange wird er allerdings nicht mehr Zeit haben, falls er tatsächlich die Absicht hat, seine Haut zu retten. Wauquiez ist für einen scharfen und höchst umstrittenen Rechtsruck der Partei verantwortlich und näherte sich ideologisch und politisch dermaßen an den „Front National“ an, der inzwischen seinen Namen in „Rassemblement National“ geändert hat und selbst mehr ins Zentrum rückte, dass ein Unterschied zwischen beiden Parteien kaum noch zu erkennen war. Er warb für den Austritt aus dem Schengen-Abkommen, wütete gegen Homo-Ehe, gegen Migration und machte die Frage nach Identität zum Zentrum seiner Politik. Eine selbstmörderische Strategie, wie sich jetzt zeigt, weil der Wähler im Zweifelsfall das Original der Kopie vorzieht. Und das Original heißt: Marine Le Pen.

Frankreich tickt politisch rechts der Mitte

„Das politische Gravitationszentrum Frankreichs ist ohne Frage rechts der Mitte“, analysiert der Politologe Brice Teinturier. Die Mehrzahl der großen Städte und Kommunen ist in der Hand von „Les Républicains“. Sie haben 100 Abgeordnete im Parlament und die Mehrheit im Senat. Aber wie lange noch? Tragende Figuren haben den Konservativen bereits im letzten Präsidentschaftswahlkampf den Rücken zugekehrt und sind zu Macron übergelaufen. Indem Macron nach der Wahl mehrere Minister, aber vor allem Premierminister Edouard Philippe aus den Reihen der Konservativen rekrutierte, hat er einen Zerfallsprozess eingeleitet, der ganz offensichtlich nicht mehr zu stoppen ist. Die feindliche Übernahme scheint gelungen. Große Konservative wie die Ex-Premierminister Jean-Pierre Raffarin und Alain Juppé gehören längst zu den Unterstützern von Macron. Letzterer hat sogar sein Parteibuch abgegeben.

Am Dienstag haben Gründer der Abtrünnigen-Partei „Agir“, allesamt ehemaliger Mitglieder von LR,  in einem „feierlichen Aufruf“ alle Lokal- und Kommunalpolitiker aufgerufen, die Konservativen zu verlassen und sich im Interesse ihrer Regionen und Kommunen für die „Gewinnerlogik“ zu entscheiden. Der jetzige Kulturminister Franck Riester, der „Agir“ im September 2018 gegründet hat, war wie etliche Parteifreunde kurz nach der Wahl Macrons bereits aus der Partei LR ausgeschlossen worden, nachdem sie eine „konstruktive Fraktion“ im Parlament gegründet hatten.

Ein letzter tragender Pfeiler ist am selben Morgen weggebrochen: Gérard Larcher, Urgestein der Partei und Präsident des Senats, hat am Dienstagmorgen angekündigt, das konservative Lager „außerhalb der Partei von LR“ zusammenführen zu wollen. Das ist eine klare Kriegserklärung an Wauquiez. „Wir sind in die Ecke des Boxrings gedrängt worden mit Themen, die nur ein Bruchteil dessen sind, was uns ausmacht“, so Larcher, „in Vergessenheit ist geraten, dass wir für auch für soziale, wirtschaftliche und ökologische Werte stehen. Die Konservativen haben sich eingeigelt.“

Macron war kein Betriebsunfall

Der Niedergang der Republikaner ist ein Symptom eines sehr viel größeren Phänomens. Denn rechnet man die Wahlergebnisse von LR und Sozialisten zusammen, kommen die beiden eingesessenen Parteien auf lächerliche 14 Prozent. Wer hoffte, dass Marine Le Pen nach ihrer Wahlschlappe 2017 von der politischen Bühne verschwindet, wer Macrons Wahl als einen Unfall der Geschichte abtun wollte oder seine Partei „La République en Marche“ als Seifenblase bezeichnet hat, wird durch die Europawahl jetzt eines Besseren belehrt. Die politische Landschaft ist nachhaltig umgepflügt worden, der ideologische Zweikampf hat sich verschoben: von rechts gegen links auf nationalistisch gegen proeuropäisch, flankiert von einem Überraschungsgast, den Grünen.

Das Verschwinden der großen Parteien, die sechs Jahrzehnte die politische Landschaft Frankreichs geprägt und sich gegenseitig an der Macht abgelöst haben, muss den Parteifreunden in ganz Europa ein mahnendes Beispiel sein. Denn die Lehre aus der jüngsten französischen Gegenwartsgeschichte lautet: Konservative Wähler sind beweglicher geworden und finden ihre Grundüberzeugungen heutzutage auch bei den Grünen, den Macronisten, ja sogar den Nationalisten Le Pens repräsentiert, so lange diese das demokratische Spektrum nicht verlassen.

Philosoph und Totengräber der Partei

François-Xavier Bellamy, der Philosoph und LR-Spitzenkandidat für die Europawahlen, war von vielen als Hoffnungsträger wahrgenommen worden, hat sich letztlich aber als Totengräber der Partei erwiesen. Das ist nicht seine Schuld, darin sind sich alle einig, sondern es ist das Ergebnis eines seit Jahren dauernden Desasters. Aber wenn selbst Heilsgestalten wie Bellamy nicht mehr helfen, dann bleibt kein Spielraum mehr für Wunder. Die Hoffnung, dass sich alle nochmal zusammenraufen, ist gering. Bellamys schmerzliche Niederlage markiert deshalb das Ende einer Partei, die sich erst im Richtungsstreit verrannt hat, dann scharf nach rechts gerückt ist und nun feststellen muss, dass sie die Abfahrt Richtung Moderne schlicht und einfach verpasst hat.

Es mag ein Tod in Etappen gewesen sein, letztlich ging es schnell. Es genügt, sich den Hergang nochmal kurz vor Augen zu rufen: Die letzten Präsidentschaftswahlen galten als „unverlierbar“ für die Konservativen. Trotz diverser Skandale erhielt der konservative Kandidat François Fillon 20 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang. Er lag damit kurz hinter Macron und Marine Le Pen auf dem dritten, undankbaren Platz und kommt nicht in die Stichwahl. Doch bei den Wahlen für das EU-Parlament sind davon nur noch 34 Prozent übriggeblieben. Von gut sieben Millionen Fillon-Wählern hat Bellamy lediglich knappe zwei Millionen bewahren können. 27 Prozent sind zur Liste von Macron übergeschwenkt, 18 Prozent haben sich für die Liste der Rechtspopulistin Marine Le Pen entschieden. Mit anderen Worten: Die Konservativen haben am rechten wie am linken Rand verloren. Sie haben so viel verloren, dass nichts mehr übrigbleibt.