Die Appelle in Österreichs Nachbarland sorgten für viel Aufsehen – und in Israel für ein gutes Maß an Empörung: Felix Klein, der von der Bundesregierung Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, warnte zuletzt angesichts stark zunehmender antisemitischer Übergriffe vor dem Tragen der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung im Alltag. 

"Lieber eine Haube über die Kippa"

Er könne "Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen." Vor allem in einigen deutschen Großstädten sollten Kinder und Jugendlichen "lieber eine Haube über die Kippa ziehen." Nur wenn "Politik und Gesellschaft mit vereinten Kräften gegen Antisemitismus vorgehen, dann haben wir eine echte Chance, diesen Kampf zu gewinnen", so Klein weiter.



Israels Präsident Reuven Rivlin gab sich ob der Aussagen Kleins "schockiert". „Ängste um die Sicherheit deutscher Juden sind eine Kapitulation vor dem Antisemitismus und ein Eingeständnis, dass Juden auf deutschem Boden erneut nicht sicher sind. Wir werden niemals den Blick senken."

Auf Verständnis stieß Kleins Appell, der "aufrütteln" und der Öffentlichkeit klarmachen soll, "dass wir handeln müssen, bevor es zu spät ist", indes beim deutschen Zentralrat der Juden: Präsident Josef Schuster wies darauf hin, dass drohende Gewalt "seit Längerem Tatsache" sei. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus soll motivieren, auf einer bewusst niederschwelliger Ebene entsprechende Vorfälle zu melden, denn: Die Dunkelziffer ist hoch.



Vor dem nahenden "al-Kuds-Tag", an dem in Berlin verstärkt mit antisemitischen Übergriffen zu rechnen ist, wünscht sich Klein von den Deutschen Solidarität: "Ich rufe alle Bürgerinnen und Bürger in Berlin und überall in Deutschland auf, am Samstag, wenn in Berlin beim "Al-Kuds-Tag" ("Al-Kuds" ist der arabische Begriff für Jerusalem, Anmerkung) wieder in unerträglicher Weise gegen Israel und gegen Juden gehetzt wird, Kippa zu tragen."



Hintergrund der anti-israelischen Proteste, die unter strengen Auflagen stattfinden, ist die Besetzung Ost-Jerusalems durch Israel im Sechstagekrieg 1967. Streng verboten ist z. B. das Verbrennen von Fahnen oder Bannern. Im Stadtteil Charlottenburg ist für den 1. Juni eine Gegendemonstration geplant. Gestern ernannte das Land Berlin einen eigenen Antisemitismusbeauftragten.

Felix Klein, von der deutschen Bundesregierung Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus
Felix Klein, von der deutschen Bundesregierung Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus © (c) Rene Bertrand



Laut Statistik des deutschen Innenministeriums sind antisemitische Straftaten überwiegend dem rechtsradikalen Milieu zuzuordnen (89,1 Prozent). Allerdings werden verstärkt Angriffe und Bedrohungen von muslimischer Seite verzeichnet. "Viele der Menschen, die zu uns gekommen sind, haben schon früh antisemitische Klischees eingeimpft bekommen", hielt der deutsche Außenminister Heiko Maas zu Einwanderern aus dem arabischen Raum fest.

"Frau mit Kopftuch", "Mann mit Kippa"

Er verwahrt sich aber davor, dass Rechtspopulisten die Angst vor Antisemitismus instrumentalisieren, um antimuslimischen Rassismus zu rechtfertigen. Sowohl "eine Frau mit Kopftuch" als auch "ein Mann mit Kippa" seien vor Anfeindung zu schützen. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, staatliche Institutionen müssten sichern, dass "freie Religionsausübung eines jeden möglich ist."

In Deutschlands Nachbarland Frankreich hatte 2018 der bestialische Mord an der 85-jährigen jüdischen Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll in ihrer Pariser Sozialwohnung für Entsetzen gesorgt. Angeklagt wurden zwei junge Muslime. Die Tat hatte Ermittlungen zufolge antisemitische Motive – danach entbrannte eine Debatte über arabische Vorstadtjugendliche.

Robert Ejnes, Exekutivdirektor des Rats der jüdischen Einrichtungen Frankreichs (Crif), nannte den Antisemitismus eine „nationale Krankheit“.