Da waren es nur noch 27. Da Großbritannien, entgegen langjährigen Bemühungen, nach wie vor EU-Mitglied ist, hätte sich Theresa May heute wie alle anderen Staats- und Regierungschefs einen Tag im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) gönnen können. Aller Voraussicht nach wird sie der Einladung nicht folgen; schließlich will der Europäische Rat über die strategischen Ziele der EU für die kommenden Jahre beraten - und warum sollten sich die Briten noch daran beteiligen?

Der Brexit steht, da ungelöst, plötzlich also wieder auf der Agenda und nicht nur deshalb ist die eigentliche Intention des informellen Treffens dahin. Geplant war, nach den vermeintlich zu Ende gebrachten Anstrengungen und Wirren um den Ausstieg Großbritanniens einen „Wohlfühlgipfel“ abzuhalten. Ein Reset-Programm für alle, um Europa kurz vor der EU-Wahl wieder ein Zeichen der Zuversicht für die kommenden Jahre zu geben.

Zwar wollte man, so Ratspräsident Donald Tusk, der neuen Mannschaft in den Institutionen nicht gerade Vorschriften machen, aber doch die Marschrichtung aufzeigen und eine Empfehlungsliste erstellen, eine Art Eckpfeiler für das neue Arbeitsprogramm.

Lange Liste

Die Liste gibt es nun, aber sie ist erschreckend lang: Sicherheit, Außengrenzschutz, Kampf gegen Terrorismus, die Bewältigung der Migration, Rechtsstaatlichkeit, Kampf gegen Desinformation, Schutz der Grundrechte, Stärkung des Binnenmarktes, eine Industriestrategie, Vertiefung der Währungsunion, faire Besteuerung, fairer Wettbewerb, Investitionen und digitaler Wandel, nachhaltige Energie, das Ziel der Klima-Neutralität; Schutz der Meere und der Biodiversität, Sozial-, Konsumenten- und Gesundheitsschutz, die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die Kooperation mit der Nato, globale Regeln und eine weltweite Führungsrolle der EU, etwa beim Klimaschutz, Nachhaltigkeit und im Migrationsmanagement.

Gegenwind für Kurz

Im letzten Moment kam auch noch aus Österreich ein Punkt dazu, der, ernsthaft diskutiert, alle anderen aushebeln kann: Bundeskanzler Sebastian Kurzhatte im Gespräch mit der Kleinen Zeitung und den Bundesländerzeitungen eine Neuauflage des Lissabon-Vertrags vorgeschlagen, weil sich im letzten Jahrzehnt neue, maßgebliche Herausforderungen ergeben haben. In Brüssel nahm man den Vorschlag sehr zurückhaltend auf. Kurz erntet in Sibiu Gegenwind für seinen Vorschlag.

Kurz wird heute im Kreis der Mächtigen darüber sprechen und Argumente präsentieren, zumal es sich aber um einen informellen Gipfel ohne Schlussfolgerungen handelt, ist mit keiner Entscheidung zu rechnen. Für den aktuellen Vertrag hatte man mehr als sechs Jahre verhandeln müssen und weitere zwei, bis er in allen Ländern ratifiziert war.

Sibiu ist heute auch an einem scheinbaren Nebenschauplatz von Interesse: Vor Beginn des Gipfels findet das traditionelle EVP-Treffen statt und man braucht wenig Fantasie für das Hauptthema: Viktor Orbán und der Verbleib seiner Fidesz in der EVP. Die Partei ist ja bereits suspendiert, Orbán hat nun erklärt, den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber nicht zu unterstützen. Dieser erinnerte daran, dass Orbán 2014 auch Juncker nicht wollte: „Der wurde dann doch Präsident.“