Nach dem zunächst gescheiterten Umsturz in Venezuela will der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó den Druck auf Staatschef Nicolás Maduro erhöhen. Am Mittwoch rief er seine Anhänger zum "größten Aufmarsch der Geschichte Venezuelas" auf. "Heute ist ein historischer Tag für unser Land", sagte er. "Wir bleiben auf der Straße, bis wir das Ende der unrechtmäßigen Machtübernahme erreicht haben.

Wenn es um die Freiheit geht, machen wir keine halben Sachen." Auch die regierenden Sozialisten wollten am Tag der Arbeit demonstrieren. Am Dienstag hatten sich Demonstranten und Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Caracas heftige Auseinandersetzungen geliefert. Regierungsgegner schleuderten Steine und Brandsätze auf die Uniformierten. Angehörige der Nationalgarde feuerten mit Tränengas und Schrotmunition in die Menge. Im Fernsehen war zu sehen, wie ein Panzerwagen in eine Menschengruppe raste.

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden bei den Zusammenstößen mindestens 109 Menschen verletzt, viele von ihnen durch Schrotkugeln. Ein Mann sei ums Leben gekommen, teilte die Konfliktbeobachtungsstelle mit. Die Nichtregierungsorganisation Foro Penal registrierte 119 Festnahmen bei Protesten im ganzen Land.

Am Dienstag hatte Guaidó einige Soldaten auf seine Seite gezogen und den seit Jahren inhaftierten Oppositionsführer Leopoldo López aus dem Hausarrest befreit. Der erhoffte Dominoeffekt blieb allerdings aus. Die Militärführung gelobte Maduro abermals die Treue. Der harte Kern der übergelaufenen Soldaten soll in der brasilianischen Botschaft in Caracas um Asyl gebeten haben.

Maduro erklärte den Aufstand für gescheitert und sprach von einem "Putschversuch". Nach seiner Darstellung wurden die Soldaten unter einem Vorwand zu einer Autobahn nahe dem Militärstützpunkt La Carlota gelockt. Als sie merkten, dass es sich um einen Coup der Opposition handelte, seien die meisten umgekehrt, sagte Maduro. Er dankte den Streitkräften für ihre Loyalität und kündigte Ermittlungen gegen die Drahtzieher der Rebellion an.

"Wir wissen, dass Nicolás Maduro weder die Kontrolle über die Streitkräfte hat noch den Respekt der Soldaten und des venezolanischen Volkes genießt", sagte Guaidó. Der junge Abgeordnete hatte sich bereits am 23. Jänner zum Interimspräsidenten erklärt und seither vergeblich versucht, einen Machtwechsel in dem südamerikanischen Erdölland zu erzwingen. Die USA, viele EU-Staaten und zahlreiche Länder in Lateinamerika haben ihn bereits als rechtmäßigen Übergangspräsidenten anerkannt. China, Russland, die Türkei sowie Kuba, Bolivien und Nicaragua hingegen stützen weiterhin Maduro.

US-Außenminister Mike Pompeo und sein russischer Kollege Sergej Lawrow wollten sich am Mittwoch über die Situation in Venezuela austauschen, wie der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, John Bolton, im Fernsehsender Fox News sagte. Die USA wollen laut Bolton verhindern, dass Russland weitere Macht und weiteren Einfluss über Venezuela erlangt.

Lawrow hat den USA eine "zerstörerische Einflussnahme" und eine Verletzung internationalen Rechts vorgeworfen. In einem Telefonat mit Pompeo über die "US-Initiative" habe Lawrow gesagt, dass "die Einmischung Washingtons in die Angelegenheiten Venezuelas eine schamlose Verletzung internationalen Rechts" sei. Das teilte das russische Außenministerium mit. Diese Einflussnahme habe "nichts mit Demokratie zu tun". Pompeo hatte zuvor eine militärische Intervention der Vereinigten Staaten in Venezuela als "möglich" bezeichnet, wenn diese "erforderlich" sei. Er fügte aber hinzu, seine Regierung hoffe, dass es eine friedliche Lösung geben könne.

Der kommissarische US-Verteidigungsminister Patrick Shanahan sagte am Mittwoch in letzter Minute eine dreitägige Europa-Reise ab. Shanahan bleibe in Washington, um sich besser mit dem Weißen Haus über die Lage in Venezuela abstimmen zu können, erklärte ein Sprecher. Die USA haben wie rund 50 andere Staaten Guaidó anerkannt. Pompeo sagte seinerseits bei Fox, angesichts der eskalierenden Krise in Venezuela sei ein militärischen Eingreifen nicht ausgeschlossen. "Militärische Aktionen sind möglich", sagte er. "Wir versuchen aber alles, um Gewalt zu vermeiden. Wir bevorzugen einen friedlichen Machtwechsel, bei dem Maduro geht und Neuwahlen abgehalten werden."

Die russische Regierung dementierte unterdessen US-Aussagen, Maduro überredet zu haben, nicht aus seinem Land zu fliehen. Damit sollten Maduros Anhänger im Militär demoralisiert und die Krise weiter angeheizt werden. Pompeo hatte CNN zuvor gesagt, Maduro sei nach einer russischen Intervention von seinen Plänen abgewichen und doch im Land geblieben. Russland ist ein enger Verbündeter von Maduro und unterstützt ihn auch mit Waffen.