Seit mehr als zwei Jahrhunderten hat in Japan kein Kaiser mehr abgedankt. Wenn Akihito am Dienstag den Thron aufgibt, wird die Zeremonie dennoch in gerade einmal etwa zehn Minuten über die Bühne gehen. Um Punkt 17.00 Uhr Ortszeit (10.00 Uhr MESZ) beginnt das Zeremoniell im Matsu-no-Ma, einer 370-Quadratmeter großen Halle im Kaiserpalast in Tokio.

Schwert und Juwel

Dabei werden auch ein Schwert und ein Juwel als Insignien der Legitimität eines Tennos präsentiert. An der Zeremonie nehmen mehr als 300 Menschen teil, darunter neben Mitgliedern der Kaiserfamilie auch Vertreter der japanischen Regierung und des Parlaments, hochrangige Richter und regionale Regierungschefs.

Bis Mitternacht

Ministerpräsident Shinzo Abe wird eine Rede im Namen des Volkes halten, bevor Akihito seine letzte offizielle Ansprache als Tenno vorträgt. Formal bleibt der 85-Jährige Kaiser, bis die Uhr Mitternacht schlägt.

Während der rund zehnminütigen Zeremonie spricht der Kaiser nicht. Frauen sind nicht zugelassen, auch nicht Vertreterinnen des Kaiserhauses.

Die Japaner erfreuen sich dank des bevorstehenden Kaiserwechsels einer ungewöhnlich langen Serie von Feiertagen. Am Samstag begann die sogenannte Goldene Woche, eine Reihe nationaler Feiertage, die in diesem Jahr einmalig auf zehn Tage verlängert wurde. Anlass ist der historische Wechsel auf dem Chrysanthemen-Thron. Medial kann man ihm nicht entkommen: TV-Sender und Zeitungen berichten groß, wie der wegen gesundheitlicher Beschwerden abdankende Kaiser und seine Frau Michiko zum letzten Mal die Ahnen an Schreinen verehren. Parallel zählt man hinunter zum Neuanfang: Schließlich münden die Feierlichkeiten am Mittwoch, 1. Mai, in der Inthronisierung von Kronprinz Naruhito.

Seit Wochen erwartet die älteste ununterbrochene Monarchie der Welt diese Krönung. Der 59-jährige Naruhito wird dann laut Verfassung zum „Symbol des Staates und der Einheit des Volkes“. Obwohl sich viele Japaner im Alltag kaum für ihre Monarchie interessieren, misst man der kaiserlichen Institution doch großen Wert bei.

Kaiser Akihito tritt am 30. April ab. Er ist der erste Kaiser der ältesten Erbmonarchie der Welt seit rund 200 Jahren, der zu Lebzeiten seinem Nachfolger weicht. Der im Volk beliebte Monarch, dessen Regentschaft den Namen "Heisei" ("Frieden schaffen") trägt, bat aus gesundheitlichen Gründen um diesen Schritt. Die Abdankung eines Kaisers ist eigentlich nicht vorgesehen. Die rechtskonservative Regierung ermöglichte Akihito diesen Schritt mit einem einmaligen Sondergesetz.

Sie hat unterdessen der Ära des künftigen Kaisers Naruhito (59) den Namen "Reiwa" gegeben. "Reiwa" beginnt am 1. Mai mit Naruhitos Thronbesteigung. Das neu geschaffene Wort wird nur zur Bezeichnung der neuen Kaiserzeit benutzt. Die Regierung verwendet für das Verständnis im Ausland als offizielle Übersetzung "Schöne Harmonie".

Japan steht vor Problemen. Sie reichen von gesellschaftlicher Verschlossenheit über strukturellen Sexismus bis zu ökonomischer Stagnation. Während der Nachbar China und teils auch Südkorea vorbeiziehen, sucht Japan nach seinem neuen Platz in der Welt. Und weil gesetzliche Antworten auf die Herausforderungen kaum Veränderung bringen, setzen fortschrittliche Kräfte Hoffnungen auf Naruhito. Die Vorstellung scheint zunächst paradox. Weltweit fallen Königshäuser eher mit Traditionalismus auf. Besonders am japanischen Kaiserhof, dessen Familie laut der Urreligion Shinto von Sonnengöttin Amaterasu abstammt, arbeiten erzkonservative Offizielle, die auch den Kaiser in Schach zu halten versuchen. So dürfen in Japan trotz Nachwuchsmangel nur Männer den Thron besteigen. Ohnehin wurde der Kaiser mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg politisch entmachtet. Naruhitos Bewegungsradius ist begrenzt.

Frischer Wind

Allerdings ließ er schon in der Vergangenheit aufhorchen. So verkündete Naruhito zuletzt, „frischen Wind“ in die Monarchie zu bringen. Sollte ihm dies gelingen, wäre das in Japan eine Sensation. Denn auch wenn der Kaiser keine Politikempfehlungen aussprechen darf, kann er mit seinem eigenen Lebensstil als Beispiel vorangehen.
Da ist etwa das Thema der Geschlechterrollen. Kaum ein Industrieland diskriminiert stärker zwischen Mann und Frau als Japan. Frauen leisten fünfmal so viel unbezahlte Haus- und Pflegearbeit wie Männer. Nur ein Prozent der Managementpositionen sind weiblich besetzt. Anders als die meisten Geschlechtsgenossen präsentiert sich Naruhito als moderner Mann und Vater. Als er 1993 Masako Owada heiratete, soll er ihr versprochen haben, ihre Interessen zu schützen. Nach öffentlicher Kritik an Masako, weil diese keinen Buben zur Welt brachte, maßregelte er: „Wenn es zu viel Gerede gibt, fürchte ich, dass sich der Storch beleidigt fühlt.“

Seit 2001 dann Tochter Aiko geboren wurde, zeigte sich Naruhito öffentlich als Vater, der sich an der Erziehung beteiligt.
Auch beim Blick über die Landesgrenzen hinweg könnte Naruhito zum Vorbild werden. Denn während sich die Welt mit hohem Tempo globalisiert, nimmt die japanische Gesellschaft nur bedingt teil. Zwischen 2004 und 2011 sank die Zahl der im Ausland studierenden Japaner um fast ein Drittel. Bis heute beherrscht selbst unter der jungen Generation nur ein Bruchteil eine Fremdsprache. Zugleich verschließt sich das Land gegenüber Ausländern.

Vereinbarkeit von Familie und Berufung

Auch hier könnte Naruhito durch seinen Lebenslauf ein Umdenken provozieren. Er studierte in Oxford, schrieb dort eine Abschlussarbeit zu mittelalterlichen Transportsystemen von Wasser. Naruhito spricht fließend Englisch, besser als die meisten Politiker und Manager im Land. Nie hatte Japan, das durch seine Abgeschlossenheit seit Jahren den Anschluss bei mehreren globalen Trends zu verlieren droht, in seiner jüngeren Vergangenheit einen so weltgewandten Kaiser.

All das macht Naruhito nicht zu einem Revolutionär. Wohl aber zu einer streitbaren Figur. Vor allem dem Kaiserlichen Hofamt, das die Geschäfte des Kaisers regelt, soll Naruhito suspekt sein. Dort will man schließlich vor allem eine Diskussion tunlichst vermeiden: Naruhito, dessen einziges Kind seine Tochter Aiko ist, wäre vermutlich der Idee zugetan, die Thronfolge auch Frauen zu ermöglichen. Aber so eine Emanzipation, meinen Konservative, sei ein Trend, den man getrost verpassen könne.

Erst im Herbst, am 22. Oktober wird Naruhito vor 2500 Gästen aus dem In- und Ausland seine Inthronisierung verkünden und sich anschließend in einem Autokonvoi durch Tokio fahren lassen. Während die Mitglieder des Kaiserhauses während der Übergabe des Amts voraussichtlich westliche Kleidung tragen werden, sind für die Zeremonie im Herbst normalerweise traditionelle japanische Gewänder vorgesehen. Laut Plan wird auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen dazu nach Tokio reisen.