Trittsicherheit und Balancegefühl musste der Gast schon beim Aussteigen aus der gepanzerten Limousine an den Tag legen. Am Morgen war ein Schneesturm über Washington hinweggefegt. Zentimeter reichten, um die ganze Hauptstadt aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Schulen, Kindergärten, Bundesgebäude und Universitäten blieben geschlossen, weil die Infrastruktur in den Randbezirken für so eine winterliche Unbill nicht gerüstet ist. Nur dem Protokoll des Weißen Hauses an der Pennsylvania Avenue konnte der Schneesturm wenig anhaben.

Pünktlich um 19.45 Uhr hiesiger Zeit öffneten am Westflügel der begehrtesten politischen Besuchsdestination Beamte des US-Geheimdienstes die hintere Autotür. Kanzler Sebastian Kurz stieg als Erster aus, gefolgt von Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer und Botschafter Wolfgang Waldner.

Unter dem Vordach wartete US-Präsident Donald Trump und begrüßte den um vierzig Jahre jüngeren Regierungschef aus Österreich: „Ich muss Ihnen sagen, dass er ein sehr junger Anführer ist. Sie sind ein junger Mann, was ziemlich gut ist.“ Kurz fügte daraufhin mit erhobenem Zeigefinger hinzu: „Aber das Problem mit dem Alter wird von Tag zu Tag besser.“

Die Jugend des Gastes und sein nationalkonservatives Projekt waren die Hauptgründe für das Zustandekommen des Arbeitsbesuchs, 13 Jahre nach Wolfgang Schüssel. Trumps Berater hatten dem Präsidenten das Treffen nahegelegt, unterstützt durch die Botschafter in Wien und Berlin, Trevor Traina und Richard Grenell. Letzterer hatte Kurz zu einem „politischen Rockstar“ stilisiert, das weckte die Neugier Trumps.

Das Gespräch fand vor dem Hintergrund einer tiefen Entfremdung zwischen Amerika und Europa statt, befeuert durch drohende Strafzölle gegen importierte Autos aus Europa und die erpresserische Forderung nach einer Rücknahme von IS-Söldnern. Diese Kulisse verlieh dem Treffen eine gewisse Brisanz, die über das Zeremoniell eines folkloristischen Speed-Datings zwischen dem mächtigsten Mann der Welt und einem kartografisch unbedeutenden Land hinausreichte.

Die Begegnung, zweigeteilt in ein Vieraugengespräch im Oval Office und ein erweitertes Delegationsgespräch im benachbarten Cabinet Room, geriet so zu einer diplomatischen Gratwanderung, der sich der österreichische Kanzler durchaus bewusst war. Es galt, zwischen Forschheit im Betonen der Differenzen (Klima, Handel, Iran) und Servilität die angemessene Tonlage zu finden. Noch wichtiger als Inhalt und Ton waren freilich die blitzlichtfreien Bilder. Sie sollten sprechen und beiden zum Vorteil gereichen. Sieben Minuten hatten die Journalisten für ihre Fragen, gestellt wurden sie allerdings fast ausschließlich von den US-Kollegen zu innenpolitischen Themen, dem japanischen Premier und Nordkorea. Kurz saß fast etwas verloren dabei.

Die Bilder übertünchen diesen blitzlichtartigen Eindruck. Sie sollen zum einen das aufpolierte internationale Gewicht des jungen Kanzlers dokumentieren und zum anderen dem US-Präsidenten zur Botschaft verhelfen, sehr wohl über Freunde und politische Mitstreiter in der EU zu verfügen. Diese Deutung, die die Sorge wegen einer Instrumentalisierung in sich birgt, wies Kurz im Vorfeld des Treffens im Gespräch gegenüber der Kleinen Zeitung energisch zurück: „Trump kann jeden Tag mit jedem in Europa sprechen und telefonieren. Dazu hätte er nicht dieses Treffen benötigt.“ Es sei gut und wichtig gewesen, nach den vier Begegnungen mit Wladimir Putin nun auch mit Trump ins Gespräch gekommen zu sein. „Unterschiedliche Sichtweisen und Interessen gehören ausgetauscht, das habe ich getan.“

Zentrales Thema: Handelsstreit

Zentrales Thema war der Handelsstreit mit Europa und die Ankündigung Trumps, Strafzölle auf importierte Autos einzuführen. Konkrete Vorschläge für solche Barrieren sollen bereits auf dem Schreibtisch im Oval Office liegen. Kurz wies im Gespräch eigenen Angaben zufolge auf die dramatischen Folgen eines solchen Schrittes hin: „Allein in Österreich würde dies in den Zulieferindustrien Tausende Jobs gefährden.“ In seinem Plädoyer für den Freihandel erinnerte Kurz sein Gegenüber („Ich mag Zölle“) an die Vorzüge für beide Seiten. So gebe es 700 österreichische Firmen in den Vereinigten Staaten, die Niederlassungen in Amerika haben und 40.000 Arbeitsplätze geschaffen haben.

Ob die Dimension der Zahlen einen nachhaltigen Eindruck hinterließ, ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Kurz verwies nach dem Gespräch auf die undiplomatische Härte, die sein Gesprächspartner vor allem beim Handel an den Tag legte. „Vieles von dem, was man hört, erlebt man dann auch.“ Der Kanzler vernahm auch eine gewisse gedankliche Distanz zu Europa. Er machte das unter anderem daran fest, dass Trump mit Österreichs Neutralität nicht sehr vertraut schien und sich mehr finanzielles Engagement bei militärischen Einsätzen bei der Nato wünschte.

73 Minuten

Nach 73 Minuten verließ Kurz jedenfalls das Weiße Haus. Was Beobachtern auffiel: die Asymmetrie beim Treffen der Delegationen im Anschluss an das Vieraugengespräch zwischen Kurz und Trump. Während die amerikanische Flanke mit dem Präsidenten, seinem Vize Mike Pence, dem Energieminister Rick Perry und Außenminister Mike Pompeo sowie Sicherheitsberater John Bolton und Schwiegersohn Jared Kushner hochkarätig besetzt war, setzte sich die rot-weiß-rote Abordnung - von Waldner, Mahrer und dem Nationalratsabgeordneten Martin Engelberg abgesehen - aus engen Mitarbeitern des Kanzlers zusammen. Sämtliche Minister waren zu Hause geblieben. Das Treffen war als Solo für den Regierungschef choreografiert worden. Und so suchten die Gäste bis zur letzten Minute nach Verstärkung für den eigenen Stab, um ja die internationalen Gepflogenheiten einzuhalten.

Mitgenommen hatte man dafür ein scharfsichtiges Gastgeschenk: einen Feldstecher der Tiroler Firma Swarovski. Das Präsent lag im Gegensatz zum legendären Lipizzaner Rudolf Sallingers deutlich unter der erlaubten Annahmegrenze von 344 Dollar und soll, wie ein Delegationsmitglied ironisch anmerkte, „dem Blick auf Europa dienlich sein“.