Der umstrittene UNO-Migrationspakt ist bei einer internationalen Konferenz in Marokko angenommen worden. Nasser Bourita, Präsident der Konferenz, verkündete die Verabschiedung des von Österreich und mehreren anderen Ländern abgelehnten Dokuments zur besseren Bewältigung der weltweiten Migration in Marrakesch.

Mit dem UNO-Migrationspakt wurden erstmals globale Leitlinien für die internationale Migrationspolitik verabredet. Auf ihrer Basis soll die Zusammenarbeit der Länder verbessert werden, um gegen illegale und ungeordnete Migration vorzugehen und Migration sicherer zu machen. Das Papier ist rechtlich nicht bindend und soll seine Kraft - wie bei anderen Abkommen - über die politische Absichtserklärung seiner Mitglieder entfalten. Es muss nach der Annahme in Marrakesch noch von der UNO-Generalversammlung im Jänner förmlich gebilligt werden.

Große Mehrheit

Die große Mehrheit der 192 an den Verhandlungen beteiligten UNO-Staaten befürwortet das Papier. Doch obwohl es ausdrücklich die geltende Souveränität der Mitgliedsstaaten betont, fürchten einige Länder um ihre nationale Hoheit. Mehrere Regierungen hatten das Papier in den vergangenen Wochen letztlich abgelehnt - darunter auch Österreich. In Belgien war am vergangenen Sonntag die Regierung im Streit über den Pakt zerbrochen. Die USA hatten an den konkreten Verhandlungen gar nicht erst teilgenommen.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres appellierte an jene Staaten, die sich nicht an dem Pakt beteiligen, ihre Entscheidung zu überdenken. "Ich kann nur hoffen, dass sie den Wert des Paktes für ihre eigenen Gesellschaften sehen werden und sich unserem gemeinsamen Unternehmen anschließen", sagte er in Marrakesch vor den Vertretern von mehr als 150 Staaten.

Historische Vereinbarung

Bei seiner Rede lobte Guterres die historische Vereinbarung als "inspirierend". Sie sei ein "Fahrplan, um Leid und Chaos zu vermeiden sowie Strategien zur Zusammenarbeit bereitzustellen, die uns allen nützen werden". Guterres betonte auch die "Masse an Falschinformationen", die über den Pakt kursierten.

Das UNO-Dokument enthält 23 Ziele zu einer ganzen Reihe von Themen. So widmen diese sich dem stärkeren Grenzschutz und der Verhinderung illegaler Migration, dem Kampf gegen die Schlepperkriminalität oder der besseren Koordination von Rettungseinsätzen für Migranten. Auch sollen einige Migrationsursachen bekämpft werden und eine Rückkehr von zum Beispiel abgelehnten Asylbewerbern erleichtert werden.

Migranten sind nach der Definition der Internationalen Organisation für Migration (IOM) alle Menschen, die ihren Wohnort verlassen - egal aus welchen Gründen, wie lange oder ob freiwillig oder unfreiwillig. Die UNO zählte 2017 weltweit 258 Millionen Migranten. Im Migrationspakt geht es aber nicht speziell um Flüchtlinge. Für diese haben die UNO-Mitgliedstaaten parallel einen "Globalen Pakt für Flüchtlinge" erarbeitet, den der UNO-Flüchtlingshochkommissar in seinen Jahresbericht an die Generalversammlung aufnehmen wird.

Die Vereinten Nationen einigten sich am 13. Juli auf den ersten globalen Migrationspakt. Der Grund: Die seit mehreren Jahren zunehmenden Flucht- und Migrationsbewegungen sollten mit vereinten Kräften bewältigt werden, der Schutz von Migranten und Flüchtlinge im Vordergrund stehen. Nun wurde der Pakt in der marokkanischen Hauptstadt offiziell angenommen. Die Vereinbarung ist rechtlich nicht bindend - dennoch stiegen mehrere Länder, darunter auch Österreich, aus.

Die Entstehung

Die UNO-Vollversammlung - die 193 UNO-Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich - verabschiedete am 19. September 2016, auch auf Anregung des damaligen US-Präsidenten Barack Obama, ein Paket von Verpflichtungen zur Verbesserung des Schutzes von Flüchtlingen und Migranten wie etwa die bessere Organisation von Flüchtlingsströmen oder die Stärkung der Rechte der Betroffenen.

Diese Erklärung von 2016, die auch die "New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten" genannt wird, beinhaltet zwei Anhänge, die schlussendlich zu ZWEI GLOBALEN VEREINBARUNGEN führen sollten: Ein globaler PAKT FÜR FLÜCHTLINGE sowie ein GLOBALER PAKT FÜR SICHERE, GEORDNETE UND REGULÄRE MIGRATION ("Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration").

Der Inhalt

Die UNO-Vollversammlung einigte sich mit Ausnahme der USA am 13. Juli auf einen Entwurf des ersten globalen Migrationspakts. Von den 23 Zielen, die auf 34 Seiten festgehalten werden, sind einige sehr allgemein gehalten: "Schwachstellen der Migration" sollen "angegangen und verringert", die "grenzüberschreitende Antwort auf Migrantenschmuggel" soll gestärkt werden. Andere Punkte sind konkreter, etwa das Ziel, politische Richtlinien auf Grundlage "genauer und aufgeschlüsselter Daten" zu entwickeln. So auch die Absicht, "Sozialversicherungsansprüche und erworbene Versorgungsleistungen" von Land zu Land übertragbar zu machen.

Betont wird in dem Papier auch, dass die Souveränität der Nationalstaaten und ihr Recht auf eine selbstständige Gestaltung ihrer Migrationspolitik durch den Pakt nicht angetastet werden soll und keine völkerrechtliche Bindung bestehe.

Der Migrationspakt ist deshalb so einzigartig, weil bisher keine entsprechenden Abkommen verabschiedet wurden. Die UNO bezifferte die Anzahl der Migranten weltweit auf 260 Millionen - rund 3,4 Prozent der Weltbevölkerung (Stand: Dezember 2017).

Die Aussteiger

In den vergangenen Monaten haben mehrere Staaten beschlossen, aus dem Vertrag auszusteigen. Die USA zogen sich auf Anordnung von Präsident Donald Trump noch vor Beginn der formellen Verhandlungen zurück, Ungarns rechtsnationale Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban folgte im heurigen Juli, als der Entwurf des Textes feststand. Die österreichische Bundesregierung zog, nachdem Österreich zuvor noch mit an Bord war, Ende Oktober nach. Alle drei Länder argumentierten den Ausstieg ähnlich: Die nationale Souveränität müsse bewahrt werden.

Im Anschluss sagten dann mehrere weitere Länder Nein zu dem Pakt: Australien, Bulgarien, die Dominikanische Republik, Israel, Lettland, Polen, die Slowakei und Tschechien. Die Schweiz und Italien sind in Marrakesch nicht vertreten, Polen trotz seiner Ablehnung hingegen schon. In Belgien ist die Regierung gar am vergangenen Wochenende im Streit um den Pakt zerbrochen, das Land hält aber an der Vereinbarung fest.

Kein geschlossenes System

Der "Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration" stellt kein ein sich geschlossenes System von verbindlichen Rechtsnormen dar. Vielmehr ist das Dokument eine politische Willenserklärung. Es geht darum, sich zu einer gemeinsamen, globalen Verantwortung für das Thema Migration zu bekennen. Von einzelnen Punkten können sich Staaten auch distanzieren, ohne ihre Unterstützung für das Papier ganz aufgeben zu müssen.

Völkergewohnheitsrecht

Die österreichische Regierung argumentierte ihren Rückzug auch mit dem Verweis auf das Völkergewohnheitsrecht, dass laut ihrem Standpunkt aus dem Dokument entstehen könnte. Das wollte man verhindern, sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Völkerrechtler sind jedoch fast einhellig der Meinung, dass die "Furcht" vor dem Gewohnheitsrecht unbegründet ist.

Zwar ist das Thema in der Literatur umstritten, die meisten Definitionen halten für die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht jedoch das über einen längeren Zeitraum einheitlich ausgeführte praktische Handeln von Rechtssubjekten für konstitutiv. Damit sich eine solche Staatenpraxis entwickelt, braucht es aber "Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte", erklärte Andreas Schloenhardt von der Universität Queensland im "Standard". In dem UNO-Migrationspakt gebe es zudem kaum Punkte, aus denen sich so einfach bestimmte praktische Handlungen der Staaten ergeben könnten. Internationales Gewohnheitsrecht erstreckt sich laut Schloenhardt zumeist "auf kleine Bereiche, die sich mit zwischenstaatlichen Konflikten befassen".

Der UN-Flüchtlingspakt

Deutlich weniger kontrovers ist hingegen der vom Flüchtlingshochkommissariat UNHCR ausverhandelte UNO-Flüchtlingspakt, zu dem Österreich sich weiterhin bekennt. Dieser beinhaltet vier zentrale Ziele: "Den Druck auf die Aufnahmeländer mindern, die Eigenständigkeit und Widerstandsfähigkeit von Flüchtlingen fördern, den Zugang zu Resettlement (Umsiedelung) und anderen humanitären Aufnahmeprogrammen in Drittstaaten ausweiten sowie die Bedingungen fördern, die eine Rückkehr in das Heimatland in Sicherheit und Würde ermöglichen." Der Pakt soll Mitte Dezember von der UNO-Vollversammlung formell angenommen werden.

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