Herr Minister Löger, können Sie uns erklären, was in Italien passiert und wie gefährlich es ist?
HARTWIG LÖGER: Was in Italien passiert, ist gefährlich, weil die geplante Neuverschuldung die Märkte verunsichert und die Refinanzierungskosten des Landes steigen lässt. Es zeigt auch, dass populistische Wahlversprechen zwar populär sind, aber dem Land insgesamt großen Schaden zufügen, wenn die Maßnahmen wirtschaftspolitisch grundlegend unvernünftig sind.

Es erinnert an Griechenland.
LÖGER: Am Beispiel Griechenland sieht man, wo es hinführt und wie schnell man in Abhängigkeit von Kreditgebern geraten kann. Die Folge sind meist Reformpakete, die die Rückabwicklung dieser Maßnahmen zum Ziel haben. Populistische Verblendung, die von Politikern betrieben wird, geht so gesehen immer auf Kosten der Menschen und mit Sicherheit der nächsten Generation. Das bahnt sich jetzt in Italien an.

EU-Verträge haben Staaten wie Frankreich, Deutschland auch verletzt – ohne Folgen. Kann die EU Italien glaubhaft drohen?
LÖGER: Die Situation Italiens und Griechenlands ist nicht vergleichbar mit der Lage der Länder, die dieselben Regeln verletzt haben. Es kommt auch auf die Dimensionen an. Italien ist mit 130 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet, mit 2,3 Billionen Euro. Eine offensive Verschlechterung dieser Verschuldung ist schon eine andere Basis, als sie in den genannten Ländern war. Jetzt brauchen wir Gespräche, um zu klären, wie Italien aus seiner Wachstums-Delle herausfinden kann.

Das klingt, als hätten Sie Verständnis dafür, dass die Italiener auf den Tisch gehaut haben.
LÖGER: Ja, aber nicht so. Nicht mit populistischen Wahlversprechen, die in Wirklichkeit kontraproduktiv sind, etwa das vorgezogene Pensionsantrittsalter. Das ist keine Zukunftsinvestition und kann nie und nimmer ein Beitrag sein, um Italiens Wirtschaft voranzubringen. Italien war in den letzten Jahren immer wieder bereit, Reformschritte zu setzen, die in eine positive Richtung gezeigt haben. Jetzt versuchen Parteien, die Italiener und letztlich auch die EU in Geiselhaft zu nehmen. Das muss man mit klaren Worten und klarer Positionierung auf europäischer Ebene zurückweisen.

Was würden Sie Ihrem Ministerkollegen in Italien raten?
LÖGER: Es wäre anmaßend, Giovanni Tria Ratschläge zu geben. Ich habe ihn bis vor wenigen Wochen als sehr konstruktiven, sachlichen Experten kennengelernt und war irritiert, als ich zur Kenntnis nehmen musste, dass er plötzlich seine Position für ein vernünftiges Budget nicht mehr halten konnte. Möglicherweise wurde er unter Druck gesetzt. In den Gesprächen wird man sehen, ob es für Italien einen sinnvollen Ausweg geben kann. Aber davon sind wir noch weit weg aufgrund des Verhaltens der italienischen Politiker.

Europaminister Paolo Savona hat 2015 ein Szenario entwickelt zum Euro-Austritt Italiens. Ist das eine Möglichkeit?
LÖGER: Ich glaube, das sollte derzeit kein Gedanke sein. Jetzt gilt es, in unserer Währungsfamilie alles zu tun, um Italien auf einen vernünftigen Weg zu führen.

Sie bereiten eine große Steuerreform vor, was planen Sie?
LÖGER: Selbst Steuerberater, die davon leben, sagen: helft uns, wir kommen mit der Meterware Steuerrecht nicht mehr zurecht, mit den hunderttausend Sonderregeln und Ausnahmen, Verbindungen und Verquickungen. Wir müssen es neu denken, nicht nur monetär entlasten, sondern eine echte Strukturbereinigung machen.

Wie zum Beispiel?
LÖGER: Wir planen für Klein- und Kleinstunternehmen Pauschalierungen. Die gibt es zwar jetzt auch, aber so eng definiert, dass sie kaum jemand nützt. Die Steuererklärung soll ohne großen Aufwand und Aufzeichnungspflichten möglich sein. Es kommt zum de-facto Aus für Steuererklärungen.

Wie viele Zentimeter wird das neue Steuergesetz dick sein?
LÖGER: Das traue ich mich vorweg nicht einzuschätzen, aber es muss ein Bruchteil vom Jetzigen sein. Außerdem gibt diese Steuerentlastungsreform auch die Chance einer stärkeren ökologischen Steuerung.

Im Sinne von Anreizen und nicht von Strafen?
LÖGER: Ich bin nicht der Krampus. Ich war in der Steiermark daheim immer der Nikolaus, auch bei meinen Kindern, bis sie meine Schuhe erkannt haben. Dann hat es nicht mehr funktioniert.

Wann steht die Reform?
LÖGER: Mitte 2019 sollte alles beschlossen sein, die Umsetzung erfolgt dann ab 2020.

Wie hoch ist die Entlastung?
LÖGER: Wir peilen im Bereich der Einkommens- und Lohnsteuer eine Entlastung von bis zu 3,5 Milliarden Euro an, vor allem für kleine und mittlere Einkommen. Darüber hinaus wollen wir im Bereich der Unternehmensbesteuerung entlasten.

Wie weit?
LÖGER: Es wäre zu früh, einen Wert zu fixieren. Der Gesamtwert der Steuerreform dürfte jedenfalls bei fünf bis fünfeinhalb Milliarden liegen. Zuvor müssen wir noch die Gegenfinanzierung klarlegen, denn wir wollen nicht die linke Tasche entlasten und die rechte Tasche mit neuen Steuern belasten.

Die EU sucht nach Möglichkeiten, die Internet-Giganten zu besteuern. Sehen Sie Chancen?
LÖGER: Ja. Wir wollen einen Rahmen schaffen, um die traditionelle Wirtschaft und die digitale Geschäftswelt fair zu besteuern. Derzeit zahlen traditionelle Unternehmen im europäischen Schnitt 23 Prozent, digitale Unternehmen acht bis neun Prozent – eine völlige Schieflage.

Sie sind zuversichtlich?
LÖGER: Wir werden dieses Thema beim Treffen der Finanz- und Wirtschaftsminister Anfang November in Brüssel erneut besprechen. besprechen. Im Dezember wollen wir die Beschluss- und Entscheidungsdiskussion führen. Wir wissen, dass es in Europa noch sehr unterschiedliche Zugänge gibt zu diesem Thema.

Was ist der Plan?
LÖGER: Der Vorschlag der Kommission spricht von einer kurzfristigen Lösung in Form der „Digitalsteuer“, die sich auf den Umsatz bezieht. Langfristig ist eine echte Gewinnbesteuerung vorgesehen, die sogenannte „digitale Betriebsstätte“. Gleichzeitig diskutieren die OECD-Länder über eine globale Lösung, die Mindestbesteuerung. Digital ist global und nicht abgrenzbar.

Je globaler, umso unwahrscheinlicher die Umsetzung.
LÖGER: In den letzten zwei Wochen habe ich sowohl meinen amerikanischen als auch meinen chinesischen Amtskollegen getroffen. Ich sehe nach den Gesprächen eine gute Chance, eine Lösung zu finden.

Sie wollen die betriebliche Vorsorge und die dritte Säule bei den Pensionen fördern. Wie?
LÖGER: Im Rahmen der Steuerentlastungsreform trauen wir uns zu, die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge zu überarbeiten. Aber auch die staatlichen Pensionen haben Reformbedarf aufgrund der demografischen Gesamtentwicklung. Wir erhöhen das Eintrittsalter für die Altersteilzeit, um das faktische Pensionsalter an das gesetzliche heranzuführen. Wir machen aber auch kein Hehl daraus, dass weitere Schritte nötig sein werden.

Welche? Eine Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters.
LÖGER: Ich schließe nicht aus, dass wir in der laufenden Legislaturperiode diese Diskussion noch führen werden. Wichtiger ist erst einmal die Heranführung des faktischen Pensionsantrittsalters an die gesetzliche Vorgabe.

Wie soll die Pflege organisiert und finanziert werden?
LÖGER: Wir brauchen für das Thema Pflege eine Lösung, die es den Betroffenen ermöglicht, so lang wie möglich zu Hause von der Familie gepflegt zu werden. Die Heimpflege ist für keinen der Beteiligten erstrebenswert.

Das passiert aber jetzt.
LÖGER: Genau, das ist ja das Perverse. Die Heimpflege nimmt zu, weil die Politik es verabsäumt hat, parallel zur Abschaffung des Pflegeregresses die Pflege zu Hause attraktiv zu halten. Wir brauchen eine Gesamtpflegediskussion und eine Reform, um diesen Bereich wieder auszubalancieren. Dazu gehört natürlich auch die Frage der Finanzierung. Mit der reinen Einführung einer Pflegeversicherung würden wir es uns zu einfach machen.