Die Vorfälle in der Saudischen Botschaft in Istanbul rund um die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi werden immer unglaublicher. Dass der Tod des Mannes kein "Unfall" war sollen nun auch Videobilder belegen, die der Nachrichtensender CNN veröffentlichte. Demnach soll ein Agent, der mittlerweile namentlich bekannt ist und in etwa die Statur des Mordopfers hat, eigens mit dem Killerkommando in die Türkei gekommen sein und das Konsulat in der Kleidung des Opfers durch den Hinterausgang verlassen haben - mit falschem Bart! Man nimmt an, dass Jamal Khashoggi zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr gelebt hat.

Der Doppelgänger unternahm dann einen ausgedehnten Spaziergang und ließ sich dabei von Überwachungskameras filmen. Unter anderem ging er an der berühmten Blauen Moschee vorbei. Laut dem Medienbericht sollte dieses Täuschungsmanöver die ursprüngliche Version untermauern, wonach Kashoggi das Konsulat lebend verlassen habe.

Angeblich sieht man den Agenten auf späteren Aufnahmen jedoch, wie er als Khashoggi ein Haus betritt und wenig später in seiner eigenen Kleidung, ohne falschen Bart, wieder herauskommt - mit einem Plastiksack in der Hand, in der man die Kleidung des Opfers vermutet.

Druck steigt

Nach dem gewaltsamen Tod des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi gerät Saudi-Arabien durch gezielte Indiskretionen von türkischer Seite weiter unter Druck. Der Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP sprach am Montag von einem "brutal geplanten" Mord. Die Staatsanwaltschaft verhörte unterdessen mehrere Konsulatsmitarbeiter.

"Wir sehen, dass wir es mit einer Situation zu tun haben, die äußerst brutal geplant war und dass mit viel Mühe versucht wird, die Sache zu vertuschen", sagte AKP-Sprecher Ömer Celik, allerdings ohne Details aus den Ermittlungen zu nennen. "Das ist ein sehr komplizierter Mord."

Weitere Aufklärung könnte eine für Dienstag angekündigte Erklärung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bringen, in der er Details zu den Vorgängen nennen wollte. Türkische Ermittler gehen nach Medienberichten davon aus, dass Khashoggi am 2. Oktober in der saudischen Vertretung in Istanbul von einem aus Saudi-Arabien angereisten Einsatzkommando gefoltert, ermordet und zerstückelt worden war.

Telefonate vor der Tat

Die regierungsnahe türkische Zeitung "Yeni Safak" berichtete von einem Telefonat am Tag von Khashoggis Verschwinden, das den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) weiter unter Druck setzen könnte. Demnach habe der Leiter des saudischen Kommandos viermal den Bürochef des Kronprinzen angerufen. Das Telefonat soll von dem Büro des Generalkonsuls aus und nach dem Tod Khashoggis geführt worden sein.

Die Regierung in Riad hatte wochenlang jede Kenntnis von der Tötung des Journalisten im Konsulat bestritten und seinen Tod erst am Wochenende eingeräumt. Die offizielle Darstellung aus Riad lautet, er sei im Zuge eines aus dem Ruder gelaufenen Streits getötet worden.

Angesichts immer neuer Details wird der Ruf nach Konsequenzen lauter. Brüssel würden die laufenden Ermittlungen genau verfolgt, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Die EU-Staaten würden beraten, welche Auswirkungen der Fall auf die Beziehungen zu Saudi-Arabien haben werde. Die Verantwortung für Waffenexporte liege letztlich jedoch bei den einzelnen Mitgliedstaaten.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schloss bereits am Wochenende weitere Genehmigungen für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien bis zur Aufklärung des Falls aus. Auch der saudische Botschafter in Berlin wurde zu Gesprächen ins Außenamt zitiert.

Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) nannte den Fall Khashoggi bereits am Samstag den "Gipfel des Horrors". Ein derart gravierender Vorfall dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben, auch was die Beziehungen der EU mit Saudi-Arabien anbelange. Kneissl forderte eine "umfassende, glaubwürdige und unabhängige Untersuchung". Auch SPÖ, Neos und Liste Pilz traten für Aufklärung ein und forderten die österreichische Regierung auf, aktiv zu werden.

Der Fall überschattet auch eine für Dienstag in Riad geplante Wirtschaftskonferenz, auf der das Königreich um ausländische Investoren werben will. Wie zuvor bereits andere Vertreter aus Politik und Wirtschaft sagte am Montag auch Siemens-Chef Joe Kaeser seinen Besuch ab. Es sei keine Entscheidung gegen das Königreich oder dessen Volk, schrieb er auf "Linkedin". "Aber jetzt muss die Wahrheit herausgefunden und der Gerechtigkeit Genüge getan werden."

Der Fall Khashoggi war nach Angaben des Elyseepalasts auch Thema eines Telefongesprächs zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seinem US-Kollegen Donald Trump. Beide teilten "ihre Besorgnisse" mit Blick auf die Umstände, die zu dem "tragischen Tod" des Journalisten geführt hätten.

Am Montag wurden unterdessen in Istanbul fünf Zeugen von mehreren Staatsanwälten verhört. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, handelte es sich um Konsulatsmitarbeiter. Mehr als 20 weitere Zeugen sollten noch befragt werden.

Die türkische Polizei fand ein Auto des Konsulats in einer Tiefgarage. Die Ermittler hätten nach dem Fund im Stadtteil Sultangazi von der Staatsanwaltschaft und dem Konsulat Saudi-Arabiens die Genehmigung zur Durchsuchung des Wagens erbeten, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag. Sie vermuten eine Verbindung zum Fall Kashoggi.

Beileid ausgedrückt

Knapp drei Wochen nach dem gewaltsamen Tod Khashoggis kondolierten Saudi-Arabiens König Salman und Kronprinz MbS den Hinterbliebenen. Beide hätten Mitgliedern der Familie in der Nacht zum Montag telefonisch ihr Beileid ausgedrückt, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Spa.

Unterdessen ist ein im Zusammenhang mit der Affäre entlassener hoher saudischer Regierungsmitarbeiter weiter in offizieller Funktion aktiv. Er sei nun Präsident des Verwaltungsrates der saudischen Föderation für Cyber-Sicherheit, Programmierung und Drohnen, schrieb Saud al-Qahtani bei Twitter. Er gilt als enger Vertrauter des Kronprinzen und war nach dem Eingeständnis der Tötung Khashoggis gemeinsam mit dem Vizechef des Geheimdienstes, Ahmed al-Asiri, entlassen worden.