Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist am Samstagmittag in Südspanien zu ihrem zweitägigen Besuch bei Ministerpräsident Pedro Sanchez eingetroffen. Zusammen mit ihrem Ehemann Joachim Sauer wurde sie von Sanchez und dessen Ehefrau Begona Gomez auf einer Finca im Nationalpark Donana rund 50 Kilometer südwestlich der andalusischen Regionalhauptstadt Sevilla empfangen.

Anschließend stand zunächst ein gemeinsames Mittagessen auf dem Programm. Danach trat Merkel vor die Presse. Die deutsche Kanzlerin hat die bisherige europäische Asylregelung der Dublinverordnung als "nicht funktionsfähig" bezeichnet. "Nach der Theorie dürfte nie ein Migrant oder ein Flüchtling in Deutschland ankommen", sagte Merkel . "Das entspricht aber nicht der Realität."

"Kein Land kann sich drücken"

Deswegen müssten die EU-Mitgliedstaaten daran arbeiten, ein "faires Verteilsystem zu finden und gemeinsam die Rückführung zu organisieren", so Merkel. Sie sprach sich zum Auftakt ihres zweitägigen Spanienbesuchs erneut für eine multilaterale Antwort auf die Flüchtlingsfrage aus. Es handle sich um "eine Herausforderung, die wir gemeinsam zu bewältigen haben". "Kein Land kann sich vor dieser Aufgabe drücken", fügte sie hinzu.

Weiter sagte Merkel, dabei müsse die EU ihre Grundwerte beachten, und dazu zähle die Menschenwürde. Rassismus stehe diesen Grundwerten entgegen, entsprechenden Tendenzen trete sie entschieden entgegen.

Spanien ist Hauptankunftsland

Spanien hat Italien inzwischen als Hauptankunftsland für Migranten in der EU abgelöst. Die neue rechtspopulistische Regierung in Rom lässt praktisch keine Bootsflüchtlinge mehr ins Land, zudem scheinen die libyschen Behörden verstärkt gegen Schlepper vorzugehen. Viele Menschen weichen deshalb in die Nachbarländer Algerien und Marokko aus, um von dort aus die Überfahrt nach Spanien zu versuchen.

Deutschland unterstütze die Bemühungen Spaniens, den steigenden Zustrom von Migranten von Marokko übers Mittelmeer nach Europa einzudämmen, betonte Merkel. Deutschland habe seinen Beitrag in den Europäischen Trustfonds für Tunesien und Marokko eingezahlt, "weil sie Unterstützung brauchen in der Grenzsicherung, weil sie auch Entwicklungszusammenarbeit brauchen", sagte Merkel. "Wenn die Differenz zwischen den Perspektiven Afrikas und den Perspektiven Europas zu groß ist, dann werden die Ursachen von Migration und Flucht nicht zu bewältigen sein", warnte sie.

Kooperation mit Afrika

Merkel forderte eine enge Kooperation mit afrikanischen Ländern. Beide Seiten müssten etwas davon haben, "dass Schleppern das Handwerk gelegt wird". Es reiche nicht aus "über Afrika zu sprechen, sondern wir müssen mit Afrika sprechen".

Für das Abkommen zur Rückübernahme von Asylwerbern zwischen Deutschland und Spanien, das am Samstag in Kraft trat, fand Merkel Worte des Lobes. Die Vereinbarung mache deutlich, "dass Deutschland und Spanien auf europäische Lösungen setzen". Sie schätze das Abkommen "sehr, sehr hoch" ein, man könne damit "mehr Ordnung in die Sekundärmigration" bringen.

Von österreichischer Grenze zurück nach Spanien

Seit Samstag können an der deutsch-österreichischen Grenze überprüfte Flüchtlinge binnen 48 Stunden nach Spanien gebracht werden, wenn sie dort bereits einen Asylantrag gestellt haben. Seit Mitte Juni gab es bei den Grenzkontrollen in Bayern aber keinen einzigen Fall, der diese Voraussetzungen erfüllt hätte. Entsprechende Verträge mit Griechenland und Italien sollen folgen, wobei die Chancen auf ein Abkommen mit Italien eher schlecht stehen. Italien hatte sich bisher geweigert, Asylwerber zurückzunehmen.

Österreich nimmt rund 30 Flüchtlinge zurück

Insgesamt wurden bei der Einreise an der deutsch-österreichischen Grenze nach Angaben des Innenministeriums seit Mitte Juni etwa 150 Personen festgestellt, die in einem anderen EU-Land Asyl beantragt hatten. Etwa die Hälfte davon sei auf Italien entfallen, etwa ein Fünftel auf Österreich. Die schwarz-blaue Bundesregierung hat sich dazu bereit erklärt, Personen zurückzunehmen, die bereits einen Asylantrag in Österreich gestellt haben.

Spanien ist seit Montag das erste EU-Land, mit dem Berlin ein Abkommen zur Rücknahme von Asylbewerbern unterzeichnete. Bei dem Thema hätten Madrid und Berlin einen "gemeinsamen Ansatz", hieß es in einer Mitteilung der spanischen Regierung.

Neben der Flüchtlingssituation in Europa wollen Merkel und Sanchez weitere aktuelle bilaterale und europäische Themen besprechen, darunter die angestrebte Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Kanzlerin will sich den amtlichen Angaben zufolge am Wochenende auch Zeit nehmen, um die Schönheit des Naturschutzgebiets kennenzulernen. Das riesige Naturschutzgebiet an der Costa de la Luz umfasst insgesamt knapp 130.000 Hektar.

Wieder Boot gekentert

Vor der Küste Spaniens gab es indes einen weiteren Zwischenfall: Neun aus Afrika stammende Migranten sind  in einem Holzboot auf hoher See gekentert. Die Seenotrettung der spanischen Region Andalusien rettete die Männer nach einem Notruf, wie die Nachrichtenagentur Europa Press am Samstag berichtete. Die Flüchtlinge seien nach Tarifa gebracht worden.

Sie stammten den Angaben zufolge aus Ländern südlich der Sahara und hatten mit ihrem Holzboot in der marokkanischen Küstenstadt Tanger in Richtung Spanien abgelegt. Die Straße von Gibraltar zwischen Spanien und Marokko ist an ihrer engsten Stelle etwa 14 Kilometer breit.

Momentan versuchen besonders viele Migranten, über das Mittelmeer aus Nordafrika nach Spanien zu kommen. Nach Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren es seit Jahresbeginn bis zum 5. August insgesamt 23.741 Flüchtlinge und damit mehr als im ganzen Jahr 2017 (ca. 21.600).