Bei einer Großdemonstration gegen die Regierung in der rumänischen Hauptstadt Bukarest ist es am Freitagabend zu massiven Ausschreitungen gekommen. Die Polizei ging mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die Demonstration von Auslandsrumänen vor. Dabei wurden Hunderte Personen verletzt.

Staatspräsident Klaus Johannis übte scharfe Kritik am "brutalen Vorgehen" der Polizei. Er fordert strafrechtliche Konsequenzen. In einem Schreiben an Generalstaatsanwalt Augustin Lazar forderte Johannis umgehend einzuleitende Ermittlungen in puncto Einsatzverhalten der Ordnungshüter. Zeitgleich teilte die Militärstaatsanwaltschaft mit, sich ihrerseits bereits eingeschaltet bzw. strafrechtliche Ermittlungen wegen der blutigen Vorfälle aufgenommen zu haben.

Die Polizei gab überraschenderweise zudem bekannt, wer kurz vor Mitternacht die gewaltsame Räumung des zu dem Zeitpunkt mit mehr als 100.000 Demonstranten bevölkerten Siegesplatzes vor dem Regierungssitz angeordnet habe. Nach Angaben der Ordnungshüter kam der Befehl von der seit kaum einem Monat amtierenden kommissarischen Präfektin von Bukarest, Speranta Cliseru. Letztere ist eine enge Vertraute und jahrelange Beraterin der Bukarester Oberbürgermeisterin Gabriela Firea Pandele, einer der einflussreichsten Politikerinnen der regierenden Postsozialisten.

Auch ein Team des ORF wurde während der Ausschreitungen von der Polizei attackiert. Ein Interview für die "ZIB 24" musste abgebrochen werden, weil die Polizei die Straße stürmte, um gegen gewaltbereite Protestierende in unmittelbarer Nähe vorzugehen. Auch ein Kameramann des Fernsehteams wurde von der Polizei daraufhin mit Schlagstöcken verprügelt. Erst als er mehrmals gerufen habe, dass er Kameramann sei, habe die Polizei von ihm abgelassen, schilderte ORF-Korrespondent Ernst Gelegs in der "ZIB 24". Er habe sich aber bereits wieder erholt, sagte er.

Viele Auslandsrumänen

Laut Medienberichten nahmen insgesamt 110.000 Menschen an dem Protest gegen die Regierung am Freitag teil, die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl geringer. Viele der Teilnehmer waren Auslandsrumänen, die für die Kundgebung eigens in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Die Demonstranten forderten den Rücktritt von Ministerpräsidentin Vasilica Viorica Dancila und des sozialdemokratischen Parteichefs Liviu Dragnea als Parlamentspräsident, denen Korruption und eine Bevormundung der Justiz vorgeworfen werden.

"Fort mit der Mafia-Regierung"

"Wir gehen nicht weg", "Rücktritt", "Fort mit der Mafia-Regierung", "Ohne Straftäter in hohen Ämtern", "Wir sind das Volk" und "Wir geben nicht auf" skandierten die Demonstranten. Auch die Polizei bekam Sprechchöre ab: "Ohne Gewalt" und "Schämt euch, ihr beschützt Diebe", hieß es wiederholt in Richtung Ordnungshüter.

Weil gewaltbereite Demonstranten die Absperrungen durchbrachen und zum Regierungssitz vordringen wollten, setzte die Polizei Tränengas und Schlagstöcke ein. In rumänischen Medien wurde vermutet, dass es sich um Provokateure handeln könnte, deren Gewaltbereitschaft der Polizei einen Vorwand zum Eingreifen liefern sollte.

Die Demonstranten ließen sich von Hitze und Reizgas nicht abschrecken und demonstrierten bis in die Nacht vor dem Regierungsgebäude. Auf dem zentralen Siegesplatz war ein riesiges Fahnenmeer zu sehen, da viele Auslandsrumänen auch die Fahnen ihrer Wohnländer schwenkten: Britische, spanische, italienische, US-amerikanische, kanadische, deutsche, belgische, dänische, schwedische, österreichische und viele andere.

Kurz vor Mitternacht räumte die Polizei dann mit Hunderten Einsatzkräfte in Schutzausrüstung den zentralen Siegesplatz vor dem Regierungssitz. Dabei setzte sie erneut massiv Wasserwerfer und Tränengas ein.

Die Bilder, die die Fernsehsender in Endlosschleifen zeigen, sind dramatisch: Polizisten knüppeln wahllos friedliche Demonstranten nieder, schleudern Tränengasgranaten in Menschengruppen mit Kindern, sprühen älteren Personen Pfefferspray ins Gesicht, traktieren Demonstrantinnen mit Fäusten und Fußtritten.

Hunderte Verletzte

Insgesamt 452 Personen mussten medizinisch versorgt werden, 65 davon mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Eine gehbehinderte Frau im Rollstuhl verlor das Bewusstsein und mussten auf Tragen zu den bereitstehenden Rettungswägen gebracht werden. Der Polizeieinsatz war auch für das protestgewöhnte Bukarest außergewöhnlich.

Auch in mehreren anderen Städten des EU-Landes - Sibiu, Cluj, Timisoara, Brasov, Iasi, Oradea, Galatz, Craiova und Constanta - demonstrierten Zehntausende gegen die sozialdemokratische Regierung. Präsident Johannis bezeichnete das Vorgehen der Einsatzkräfte gegen die vorwiegend friedlichen Teilnehmer der Demonstration als "völlig unverhältnismäßig" und forderte eine umgehende Erklärung von Innenministerin Carmen Dan (Postsozialisten - PSD). In einer authentischen Demokratie habe jeder Bürger das Recht zu demonstrieren, der Versuch, "den freien Willen der Menschen durch Polizeigewalt zu brechen", sei zu verurteilen, erklärte Johannis in der Nacht per Facebook.

Rückendeckung für Staatsanwältin

Unmittelbarer Anlass für das Aufflammen der Anti-Regierungs-Proteste ist die Entlassung der angesehenen Sonderstaatsanwältin Laura Kövesi Anfang Juli. Sie musste auf Betreiben der Regierung ihren Hut nehmen, der verfassungsrechtlich umstrittene Schritt wurde von dem der Regierung nahestehenden Verfassungsgericht gutgeheißen. Kövesi hatte zahlreiche Politiker der Korruption überführt und ins Gefängnis gebracht. Wegen Wahlmanipulation vorbestraft ist auch der starke Mann der rumänischen Regierung, Dragnea.

Etwa vier der rund 20 Millionen Rumänen arbeiten nach Behördenangaben im Ausland, davon die Hälfte in Italien und Spanien. Im vergangenen Jahr schickten die Auslandsrumänen 4,3 Millionen Euro an ihre Familien in der Heimat. Das entspricht 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rumänien ist einer der ärmsten Länder der Europäischen Union.