Der ehemalige britische Außenminister Boris Johnson hat Premierministerin Theresa May heftig wegen ihres neuen Brexit-Kurses kritisiert. "Wir haben unser Verhandlungskapital verbrannt", sagte Johnson am Mittwoch im Parlament. Der neue Brexit-Plan der Premierministerin halte Großbritannien "halb drinnen und halb draußen" aus der EU.

Am schlimmsten sei gewesen, dass May zugelassen habe, dass die Frage um eine feste Grenze in Irland so großen Raum eingenommen habe, sagte Johnson. Technische Lösungen für Grenzkontrollen seien ohne Prüfung verworfen worden.

Boris Johnson
Boris Johnson © APA/AFP/HO

Johnson und Brexit-Minister David Davis waren vergangene Woche im Streit um den neuen Plan für den EU-Austritt der Premierministerin zurückgetreten und hatten damit eine Regierungskrise ausgelöst. Seitdem hat May Zugeständnisse an Brexit-Hardliner in ihrer Partei gemacht.

Mays Position ist äußert geschwächt. Am Montag akzeptierte sie mehrere Änderungsanträge des erzkonservativen Abgeordneten Jacob Rees-Mogg zum Zollgesetz (Customs Bill). Kritiker glauben, dass der neue Brexit-Plan der Premierministerin damit zum Scheitern verurteilt ist.

Am Dienstag entging sie nur knapp einer Niederlage im Parlament gegen die proeuropäischen Abgeordneten in ihrer Partei. Die hatten versucht, die Regierung mithilfe der Opposition zu Verhandlungen über eine Zollunion mit der EU zu verpflichten, sollte bis Jänner kein Handelsabkommen mit Brüssel stehen. Am 29. März 2019 scheidet Großbritannien aus der EU aus.

Ob May das durchsteht?

Experten bezweifeln unterdessen, dass die britische Premierministerin Theresa May bis März 2019 auf ihrem Posten bleiben wird. In der britischen Regierung gebe es derzeit keine langfristige Strategie und keinen Kompromiss, meinten der Politikwissenschaftler Matthew Goodwin und der schottische SNP-Politiker Angus Robertson am Mittwoch in Wien.

Goodwin machte insbesondere auf den derzeitigen Zustand der britischen Regierung aufmerksam: "Mays Popularität hat diese Woche ihr Tief erreicht. Die Hälfte der Leavers (Brexit-Befürworter, Anm.) wünscht sich jetzt Mays Rücktritt und etwa 60 Prozent sprechen sich gegen ihre Brexit-Strategie aus."

"Ich bin sehr pessimistisch, ob ein Brexit-Deal überhaupt stattfinden wird", sagte Robertson, dessen Schottische Nationalpartei (SNP) sich gegen einen EU-Austritt ausgesprochen hatte. Die beiden größten Parteien des Landes - Mays Konservative und Labour - seien stark zersplittert und "das Parlament in einem seit langem nicht mehr gesehenen Zustand". Der Schotte bezeichnet die Lage sogar als "die größte politische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg."

Auch Goodwin warnte vor einer schlecht funktionierenden Regierung: "Es geht ums Vermeiden von Situationen, die May unter einen noch größeren Druck setzen würden." Es gebe derzeit keine effektive Führung, es gehe nur um "ein Überleben von Tag zu Tag".

Laut Goodwin glauben Leave-Befürworter, dass nicht der Brexit, sondern das Verbleiben in der EU ein Risiko darstellen würde. Der Brexit sei nicht nur durch die Arbeiterklasse zustande gekommen, die Diversität in dieser Gruppe sei sehr groß. Leavers stimmten für den Brexit, um "die Souveränität zurückzuerlangen, um mehr Kontrolle über die Gesetze zu erlangen und um die Migration zu reduzieren". Gerade Migration sei ein sehr wichtiges Thema für diese Abstimmung gewesen; jene Gebiete Großbritanniens, die der die für den Brexit Stimmung machenden Unabhängigkeitspartei (UKIP) viele Stimmen gaben, waren auch mehrheitlich für den EU-Austritt. "Ohne UKIP wäre der Brexit womöglich gar nicht passiert", meinte der Experte.

Robertson befürchtet, dass ein "harter" Brexit ohne Deal mit der EU stattfinden wird. Die "Rosinenpickerei", welche die britische Regierung betreibe, werde seitens der EU wahrscheinlich abgelehnt. "Die Lösung - das fürchte ich - ist kein Deal."

Die verheerenden Folgen eines fehlenden Deals würden unterschätzt, sagte Robertson. Kein Deal würde ernste Folgen für Infrastruktur, Produktion usw. nach sich ziehen. "Vielen Leave-Befürwortern ist das egal - Hauptsache, sie bekommen die Kontrolle zurück."

Auch Nordirland und Schottland seien zwei große, aber von der Regierung weitgehend ignorierte Probleme. Die britische Politik sei "extrem anglo-zentriert", beklagte der Schotte Robertson. London zeige Interesse an Schottland nur dann, wenn die Möglichkeit für ein Referendum im Raum steht, spielte er auf ein mögliches weiteres schottisches Unabhängigkeitsreferendum an. "Es wird eines geben. Aber den Leave-Wählern ist es wichtiger, die EU zu verlassen, als als Vereinigtes Königreich zusammenzubleiben." Sowohl die Wähler in Schottland als auch in Nordirland hatten mehrheitlich gegen einen Brexit gestimmt.