Beim Asyltreffen am Wochenende in Brüssel könnten sich mehrere betroffene EU-Staaten auf Mechanismen zur Rücknahme von Migranten verständigen. "Wir werden einen flexiblen, gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten", heißt es im Entwurf einer Erklärung für das Treffen, über den die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte.

Gastgeber des Treffens am kommenden Sonntag wird EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sein, der den "offenen Charakter" der Zusammenkunft betonte. 16 EU-Staaten nehmen nach derzeitigem Stand an dem Mini-Gipfel zur Migration am Sonntag in Brüssel teil. Ein EU-Kommissionssprecher sagte am Freitag, zusätzlich zu den acht ursprünglich vorgesehenen Staaten hätten auch Belgien, die Niederlande, Kroatien, Slowenien, Dänemark , Finnland, Schweden und Luxemburg ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet.

Ein Kommissionssprecher betonte den offenen Charakter des Treffens. Es handle sich auch um einen Prozess, eine Änderung der Teilnehmerliste sei noch möglich. Es gebe keine schriftlichen Einladungen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird teilnehmen, betonte aber am Freitag bei einem Treffen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk demonstrativ dessen Führungsrolle. Tusk, der den Vorsitz beim regulären EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag führt, war auf Distanz zu dem auf Initiative der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zustande gekommenen Treffen gegangen.

Tusk heute in Wien

EU-Ratspräsident DonaldTusk ging auf Distanz zu dem Treffen und betonte, dass er weiter den regulären EU-Gipfel aller Mitgliedsstaaten kommende Woche am Donnerstag und Freitag vorbereite. Tusk traf heute in Wien Bundeskanzler Sebstian Kurz. Tusk hatte sich vor wenigen Tagen auf die Seite derer geschlagen, die die Zuwanderung aktiv und massiv begrenzen wollen:

Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, sollen in Zukunft in von der EU kontrollierten Zentren gesammelt werden. Damit soll  die gefährliche Route über das Meer weniger attraktiv gemacht werden. Offiziell hört sich das so an: Der Europäische Rat unterstütze "die Entwicklung des Konzepts regionaler Ausschiffungsplattformen". In diesen Lagern soll eine erste Aufteilung zwischen Wirtschaftsmigranten und Flüchtlingen mit Chancen auf einen positiven Asylbescheid vorgenommen werden.

Der Vorstoß soll Bewegung in die  völlig festgefahrene Debatte um eine europäische Asylreform bringen. Tusk fordert weiters eine noch engere Kooperation mit der libyischen Küstenwache sowie mit Orten an der libyischen Küste und im Süden des Landes, um die Tätigkeit der Schlepper zu unterbinden. Die Lager selbst sowie die Flüchtlinge, die freiwillig zurückkehren, sollen finanziell unterstützt werden.

Hilfe für Länder an Außengrenze

EU-Budgetkommissar Günther Oettinger legte am Freitag nach und forderte auch Hilfen für die "hauptberührten" Länder der Europäischen Union, bei denen Migranten zuerst ankommen. "Ich glaube, ganz Europa muss denen, die hauptberührt sind, Griechenland, Malta, Italien, Zypern, Bulgarien, Spanien, Solidarität beweisen und ihre Aufgaben erleichtern und ihre Kosten und Leistungen in Teilen erstatten."

Diese Kosten und Leistungen müssten den betroffenen Ländern honoriert werden, sagte Oettinger am Freitag vor Beginn des EU-Finanzministerrats in Luxemburg. Er erwarte sich jedenfalls vom Mini-Gipfel Fortschritte auf dem Weg zum Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs Ende nächster Woche. Es müsse eine Annäherung auf dem Weg zur europäischen Gemeinsamkeit geben.

Frankreich warnt vor Zerfall Europas

Kurz vor dem Brüsseler Krisentreffen zur Migrationspolitik hat der französische Regierungssprecher Benjamin Griveaux vor einem Zerfall Europas gewarnt. Europa erlebe wohl eine seiner schlimmsten Krisen, sagte Griveaux am Freitag dem Radiosender Radio Classique.

"Falls Europa unfähig ist, sich auf ein gemeinsames Migrationskonzept zu einigen, fürchte ich unglücklicherweise, dass es  sich endgültig auflöst", sagte Griveaux. Die Migrationsfrage werde auch bei den Europawahlen im kommenden Jahr eine zentrale Bedeutung haben.

Weiterreise unterbinden

Nach dem Willen von EU-Kommissionschef Juncker sollen die Teilnehmer des Mini-Gipfels am Sonntag auch eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Weiterreise von Asylsuchenden zwischen EU-Staaten zu unterbinden. "Es gibt kein Recht, den Mitgliedstaat, in dem Asyl beantragt wird, frei zu wählen", heißt es in dem Entwurf. "Wir sehen einen großen Bedarf, Sekundärbewegungen signifikant zu reduzieren." An Bahnhöfen, Busbahnhöfen und Flughäfen sollen demzufolge Kontrollen stattfinden. Asylsuchende sollen Strafen drohen, wenn sie nicht im Land ihrer ersten Registrierung bleiben. Außerdem sollen Asylbewerber nur noch im für sie zuständigen EU-Land Sozialhilfe erhalten.

Wer von den Teilnehmern den Entwurf letztlich unterschreibt, ist noch völlig unklar. An dem Papier dürften die Unterhändler der Staaten in den kommenden Tagen noch eifrig feilen.

  • Dem ersten Entwurf zufolge sollen gemeinsame Polizeizentren künftig gegen Schleuser vorgehen.
  • Unterstützt werden soll außerdem der Ausbau des Asylbüros EASO zu einer echten EU-Asylbehörde sowie der von vielen Staaten unterstütze Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex zu einer EU-Grenzpolizei.
  • Außerdem soll die Aufstockung des Frontex-Personals schneller umgesetzt werden als zuletzt geplant. Bis 2020 sollten es 10.000 Mitarbeiter sein, vor wenigen Wochen hatte die EU-Kommission noch 2027 als Perspektive genannt.

Hochrangige Vertreter der unterzeichnenden Staaten sollen dem Papier zufolge nach dem Treffen am Sonntag für die Umsetzung der vereinbarten Punkte verantwortlich sein. Sie sollen sich monatlich treffen, im Herbst sollen die Staats- und Regierungschefs der unterzeichnenden Länder erneut zusammenkommen.

Kurz signalisiert Unterstützung

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) signalisierte Unterstützung für das Gipfeltreffen und zeigte sich erfreut über die "stärkere Dynamik" in der Flüchtlingspolitik. "Ob das schon zu einem Ergebnis am Sonntag führt (...) und wenn es zu einem Ergebnis führt, wie schnell die Umsetzung stattfindet, das ist die Frage", dämpfte er Erwartungen an die Zusammenkunft. Kurz äußerte sich in Linz nach einem Treffen mit dem schärfsten Widersacher der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Beide betonten ihren absoluten Gleichklang in der Flüchtlingsfrage.

Merkel unter Druck

Merkel steht innenpolitisch wegen des Asylstreits unter großem Druck. Die CSU des deutschen Innenministers Horst Seehofer hatte ihr zwei Wochen eingeräumt, um spätestens beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni bilaterale Vereinbarungen zu treffen, nach denen Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden können, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Italiens Innenminister Matteo Salvini machte am Mittwoch deutlich, dass seine Regierung keine Asylbewerber von Deutschland zurücknehmen will.