Der angeblich in Kiew ermordete regierungskritische russische Journalist Arkadi Babtschenko lebt. Der 41-Jährige erschien am Mittwoch in Kiew auf einer Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdienstes SBU. Dort hat er sich für er sich für Nachrichten über seinen angeblichen Tod entschuldigt.

Die Pressekonferenz wurde live im Fernsehen übertragen. Nicht einmal Babtschenkos Frau Olga wusste von der Inszenierung. Sie hatte die Informationen geglaubt, wonach ihrem Mann in den Rücken geschossen worden war, als er das gemeinsame Apartment verließ. Babtschenko entschuldigte sich insbesondere bei ihr "für die ganze Hölle, die sie durchmachen musste".

Vor einem Monat eingeweiht

Der Journalist sagte, er sei vor etwa einem Monat eingeweiht worden. "In diesem Monat habe ich gesehen, wie die Jungs arbeiten, wie eifrig sie sind. Den ganzen Monat über waren wir im Kontakt, haben wir nachgedacht, gearbeitet, gehandelt. Und das Ergebnis war dieser Spezialeinsatz."

Ein Mann wurde nach dem vermeintlichen Mord am Mittwoch in Kiew festgenommen. Man legt ihm die Planung der Ermordung von Babtschenko zur Last. Der Täter habe von den Hintermännern 30.000 US-Dollar (25.956,05 Euro) in Aussicht gestellt bekommen, für einen Mittelsmann habe es 10.0000 Dollar gegeben, sagte Geheimdienstchef Grizak. Auftraggeber soll der russische Geheimdienst gewesen sein.

Die Festnahme des mutmaßlichen Täters
Die Festnahme des mutmaßlichen Täters © APA/AFP/YOUTUBE/-

Dienstag abend hatte es geheißen, Babtschenko sei in Kiew erschossen worden. Er hatte Russland Anfang 2017 verlassen, weil sich Drohungen gegen ihn und seine Familie häuften. Der nunmehrige angebliche Mord sei eine über Monate vorbereitete Aktion gewesen, um Anschlagspläne des russischen Geheimdienstes zu enttarnen, sagte SBU-Chef Wassili Grizak laut der "Welt". Der mutmaßliche Organisator sei festgenommen worden.

Für die Russen eine "Propagandaaktion"

Zuvor hatten die ukrainischen Behörden wissen lassen, Babtschenko sei ermordet worden und die russische Regierung dafür verantwortlich gemacht. Russland hatte den Vorwurf zurückgewiesen.

Nun wird der fingierte Mordvon Russland als Propagandaaktion und Maskerade kritisiert. Dies sei offensichtlich, schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Mittwoch bei Facebook. "Dass Babtschenko lebt, ist die beste Nachricht", schrieb sie. "Ich bedauere, dass Babtschenko an dieser Provokation der ukrainischen Geheimdienste teilgenommen hat", erklärte der russische Senator und Außenpolitiker Konstantin Kossatschow in einer ersten Reaktion. 

Filmreifer Coup und viele Fragezeichen

Der filmreife Coup des SBU wirft viele Fragen auf. Im Konflikt zwischen Russland auf der einen Seite und der Ukraine und dem Westen auf der anderen geht es an vielen Stellen um Glaubwürdigkeit: Was beweist die Anwesenheit russischer Soldaten in der Ostukraine, die Moskau leugnet? Wie stichhaltig können Ermittler belegen, dass 2014 ein russisches Buk-Geschütz 298 Menschen an Bord von Flug MH17 tötete? Die Diskussion wird nach der Aktion in Kiew nicht einfacher.

"Es ist gefährlich, in einer Welt zu leben, wo die Behörden, wo die Politik die Bürger und die Öffentlichkeit dreist belügen", sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands DJV, Frank Überall, der Deutschen Presse-Agentur. "In dem Moment, wo wir unseren Regierungsvertretern nicht mehr trauen können, wird es für eine Demokratie sehr gefährlich."

"Totalitäre Maschinerie"

So machte der ukrainische Regierungschef Wladimir Groisman Moskau für den angeblichen Mord verantwortlich. Die "russische totalitäre Maschinerie" habe Babtschenko nicht verziehen, schrieb er. War das ehrliche Trauer, oder spielte er ein Spiel mit?

"Wir haben einen Mordanschlag auf Babtschenko mit einem Spezialeinsatz verhindert", sagt SBU-Chef Wassili Grizak. Wenigstens einmal wollten ukrainische Behörden nicht hilflos wirken angesichts von Morden und Anschlägen vor ihrer Nase, für die angeblich Moskau verantwortlich ist. Doch ob die Beweise für den Auftragsmord stichhaltig sind, wird sich erst bei einem Gerichtsprozess zeigen.

Andere Morde in Kiew bleiben ungeklärt. 2016 tötete eine Autobombe den russischen Exil-Journalisten Pawel Scheremet, der ebenfalls ein Kritiker der Moskauer Führung war. 2017 wurde der abtrünnige russische Abgeordnete Denis Woronenkow auf offener Straße erschossen.

Wechselbad der Gefühle

Seinen Kollegen hat Babtschenko ein Wechselbad der Gefühle beschert. Journalisten trauerten einen Tag lang und analysierten tiefschürfend, was der Mord an dem erklärten Kreml-Kritiker bedeute. "Das ist ein Terroranschlag auf die Gemeinschaft von Journalisten in Russland und in der Ukraine", schrieb sein Freund, der Investigativreporter Pawel Kanygin von der Moskauer "Nowaja Gaseta". Dann die Erleichterung: "Er lebt, das ist das Wichtigste! Und abends kriegt er eins hinter die Löffel, weil mir die letzten Haare ausgegangen sind."

Auch die Glaubwürdigkeit der Medien leidet unter der Irreführung. "Journalisten müssen noch intensiver und noch viel genauer hingucken", mahnte Überall. Der Kriegsreporter Babtschenko war bisher als unbestechlicher, radikal ehrlicher Journalist bekannt. "Das ist nicht nur eine Provokation gegen Russland. Das ist auch eine Provokation Babtschenkos gegen die ganze Journalistenzunft", sagte der Chefredakteur der russischen Zeitung "Moskowski Komsomolez", Pawel Gussew.

Frage der Glaubwürdigkeit

Offizielle Vertreter Moskaus regten sich erst über die Anschuldigungen aus Kiew auf und dann darüber, so reingelegt worden zu sein. Doch sie erkannten schnell die Möglichkeit, auch andere unangenehme Vorwürfe als unglaubwürdig abzutun - zum Beispiel bei dem in Großbritannien vergifteten Ex-Agenten Sergej Skripal. Die Kiewer Inszenierung sei "eine dreckige und zynische Provokation im Stil des Falls Skripal", sagte der Dumaabgeordnete Leonid Sluzki. Er bedauere, dass ein russischer Staatsbürger Teil eines solch ungeheuerlichen Spektakels geworden sei.

Über den Fall Skripal hatten sich in den vergangenen Monaten Russland und der Westen entzweit. Der Ex-Agent war in Südengland mit einem Nervengift attackiert worden, dass ursprünglich in der Sowjetunion entwickelt worden war. Die Regierung in London macht Moskau verantwortlich. Auch wenn noch keine Beweise präsentiert wurden, haben Großbritannien, die USA und verbündete Staaten als politisches Signal mehr als 100 russische Diplomaten ausgewiesen; auch Deutschland beteiligte sich. Russland zog seinerseits mit Ausweisungen nach und weist sämtliche Vorwürfe entschieden zurück.