Es sollte ein historisches Ereignis werden. Die Gedenkmünzen mit den Konterfeis von „Präsident Donald J. Trump“ und dem „Obersten Führer Kim Jong-un“ waren schon geprägt. Der Regierungschef im Weißen Haus träumte vom Friedensnobelpreis. Doch um 9.40 Uhr amerikanischer Zeit zog der US-Präsident die Notbremse. Nicht auf seinem Lieblingsmedium Twitter, sondern förmlich auf einem Briefbogen mit goldenem Siegel, adressiert an „Seine Exzellenz“ in Pjöngjang, bedankte er sich zunächst für Zeit, Geduld und Mühe, die der nordkoreanische Machthaber für das geplante Gipfeltreffen am 12. Juni in Singapur aufgewendet habe. Doch leider, so Trump, halte er es zu diesem Zeitpunkt für unangemessen, die Begegnung stattfinden zu lassen. Aus den Stellungnahmen des Regimes habe er „enormen Ärger und offene Feindschaft“ herausgelesen.

Für Trumps Verhältnisse ist der Brief höflich verfasst. Ausdrücklich lobt er Kim für die Freilassung von drei Gefangenen aus den USA und äußert seine Hoffnung, dass es irgendwann doch noch zu dem Treffen kommt: „Wenn Sie Ihre Meinung ändern, rufen Sie mich bitte an oder schreiben mir.“

Doch verkneifen kann er sich einen Rückfall in frühere Attacken nicht: „Sie reden über Ihre nukleare Bewaffnung“, drohte er unverhohlen, „aber unsere ist so massiv und so mächtig, dass ich zu Gott bete, dass sie nie angewendet werden muss“. Auch die Alliierten Japan und Südkorea stünden bereit,auf „Dummheiten“ Nordkoreas zu reagieren. Das klang wie der apokalyptische Hinweis auf „Feuer und Zorn“, mit dem Trumps undiplomatische Nordkorea-Offensive 2017 begonnen hatte.

Atomtestgelände zerstört

In Washington herrschte zunächst Rätselraten über die Motive. Immerhin hatte Nordkorea Stunden zuvor sein einziges nukleares Testgelände Punggye-ri zerstört. Die Schließung des in einer Bergregion liegenden Komplexes wurde als Bekundung des guten Willens gewertet. Kim war zudem mit dem Angebot in Vorleistung gegangen, die Atomtests auszusetzen.

Trumps Hinweis auf angebliche Feindseligkeiten scheint sich auf einen Kommentar von Vize-Außenminister Choe Son-hui zu Vizepräsident Mike Pence zu beziehen. Weil Pence (wie zuvor schon Sicherheitsberater John Bolton) im Interview Anfang der Woche gedroht hatte, Nordkorea könne enden wie Libyen, hatte der Nordkoreaner den Amerikaner als „politischen Dummkopf“ bezeichnet.

Doch dürfte das nur der äußere Anlass für den Rückzieher gewesen sein. Tatsächlich hatte er mit der Überhöhung des Gipfels nicht nur einen enormen Erwartungshorizont aufgebaut, sondern auch einen wichtigen Trumpf aus der Hand gegeben - die Anerkennung Kims als Verhandlungspartner auf Augenhöhe. Gleichzeitig war zuletzt immer deutlicher geworden, dass sich Trump mit der Maximalforderung nach einer kompletten Atomwaffenfreiheit der koreanischen Halbinsel kaum werde durchsetzen können. Anders als der Iran besitzt das Regime in Pjöngjang bereits Nuklearwaffen und betrachtet sie als Lebensversicherung.

Der Rückzieher gilt in Asien als erhebliche Gefahr für den Frieden. Die Absage demütigt Kim und bedeutet einen Gesichtsverlust. Der Hauptgrund dafür, dass er sich überhaupt zu Gesprächen bereit erklärt hat, lag in der klugen Politik von Südkoreas Präsident Moon Jae-in. Dieser hatte klargemacht, dass Kim die Hand ausstrecken könne, ohne eine Zurückweisung befürchten zu müssen. Denn das ist der entscheidende Faktor für Kim: sein Bild im In- und Ausland und die Anerkennung, die er als vermeintlich wichtiger Staatenlenker erhält.

Kim ist nun düpiert. Die Sorge gilt akut westlichen Journalisten, die zur Stilllegung des Testgeländes gereist waren. In der Vergangenheit hat Kim zuweilen US-Bürger verhaften lassen, um Zeichen zu setzen.

Experten sehen die Schuld bei Trump. „Die jüngsten Äußerungen Nordkoreas haben ihre Vorbehalte gegen die Bombenüberflüge zum Ausdruck gebracht“, schreibt der Geostrategie-Experte Daryl Kimball von der Organisation Arms Control Association in Washington. „Das Weiße Haus hat dies fehlinterpretiert.“ Jetzt überwiegen Zweifel, ob es überhaupt gelingen kann, Nordkorea auf den Pfad produktiver Gespräche zurückzuführen. Die Familie Kim neigt zum Rückzug, wenn das Ausland sie unter Druck setzt. „Eine heftige Reaktion ist wahrscheinlich“, sagt Kimball.