Von allen deutschen Bundesländern ist Bremen das mit Abstand kleinste. Doch derzeit steht der Stadtstaat im Nordwesten der Republik groß in den Schlagzeilen. Es geht um die Anerkennung von Asylbewerbern, bei der es in der altehrwürdigen Hansestadt wohl nicht mit rechten Dingen zuging. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die frühere Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesflüchtlingsamtes.

Ermittelt wird auch gegen fünf weitere Verdächtige wegen Bestechlichkeit und "bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Antragstellung". Die Bundesregierung in Berlin ist alarmiert.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat in einer ersten Reaktion verfügt, dass die Bremer Behörde vorerst über keine weiteren Asylanträge mehr entscheiden darf. Der frühere bayerische Ministerpräsident hatte erst im März das Bundesministerium des Inneren übernommen. Er war 2015 einer der schärfsten Kritiker der von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfochtenen Politik der offenen Grenzen für Syrienflüchtlinge. Nun für Einwanderung und Innere Sicherheit selbst zuständig, muss Seehofer Führungsstärke beweisen.

Die Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen soll laut Staatsanwaltschaft zwischen 2013 und 2016 mindestens 1200 Menschen Asyl gewährt haben, ohne die Voraussetzungen ausreichend zu prüfen. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" schilderte den Fall eines Kurden aus Cuxhaven (Niedersachsen), der sich vor Jahren vergeblich um eine Anerkennung bemüht hatte und eigentlich längst hätte abgeschoben werden sollen. Dann hörte er von einem Anwalt, der ihm helfen könnte, und zahlte diesem 1000 Euro in bar. Wenige Monate später hatte er die Anerkennung - aus Bremen.

"Bananenrepublik"

"Was sich in Bremen in den vergangenen Jahren ereignet hat, klingt eher nach Bananenrepublik", schrieb das Magazin. In den nächsten Monaten sollen nun 18 000 Bremer Entscheidungen überprüft werden. Inzwischen durchleuchtet das Bamf aber auch zehn weitere Außenstellen. Sie fielen auf, weil sie über- oder unterdurchschnittlich oft Schutz gewährt haben.

Während der Flüchtlingskrise schienen die deutschen Behörden zeitweilig überfordert. Rund 1,5 Millionen Asylbewerber kamen seit Anfang 2015 ins Land. Für das Bamf war es nach den Worten seiner heutigen Präsidentin Jutta Cordt eine "Ausnahmesituation", die Behörde musste in aller Eile vergrößert werden.

Bestechung oder Haltung?

Wie es konkret zu den Vorfällen in Bremen kam, ermittelt nun die Justiz. Einer der involvierten Anwälte soll regelmäßig Bustouren für Flüchtlinge nach Bremen organisiert haben. Der Korruptionsvorwurf steht im Raum, der Verteidiger der früheren Behördenleiterin bestreitet aber, dass seine Mandantin sich bestechen ließ. Womöglich handelte sie auch aus politischer Überzeugung. In Bremen regieren Sozialdemokraten und Grüne, vor allem letztere sind für ihre einwandererfreundliche Haltung bekannt. Von einem "rot-grünen Willkommensmilieu" schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung."

Bayerische Beamtin wurde aktiv

Zusätzlichen Schwung in die Aufklärung der Affäre brachte eine Beamtin aus dem fernen Bayern. Josefa Schmid war Anfang des Jahres nach Bremen versetzt worden, um die Dienststelle kommissarisch zu leiten. Unaufgefordert schrieb sie einen Bericht an die Bamf-Zentrale in Nürnberg mit ihren Beobachtungen zu dem Fall. Sie sprach vom "größten Flüchtlingsskandal der Republik" und versuchte Seehofer zu kontaktieren, sobald dieser Anfang März als Minister feststand. Sie kam aber nicht zu ihm durch. Seehofer selbst soll erst am 19. April von den Vorgängen in Bremen erfahren haben.

Schmid wurde inzwischen gegen ihren Willen aus Bremen abgezogen und nach Bayern zurückversetzt. Dort kennt man sie als schillernde Figur. Die 44-jährige Beamtin ist ehrenamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde Kollnburg, man kann sie aber auch auf YouTube als Schlagersängerin im Dirndl bestaunen. "Stolpert Seehofer über diese singende Bürgermeisterin?", unkte kürzlich die "Bild"-Zeitung.

Untersuchungsausschuss?

Seehofer soll am nächsten Dienstag zusammen mit Cordt vor dem Innenausschuss des Bundestages aussagen. Die rechtspopulistische AfD und die liberale FDP wollen einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Mindestens eine weitere Oppositionsfraktion - Linke oder Grüne - müsste aber mitziehen, damit das nötige Viertel aller Bundestagsabgeordneten zusammenkommt. Seehofer ließ schon wissen, dass er einen Untersuchungsausschuss nicht als Bedrohung empfinde. Der Fall Bremen ereignete sich ja vor seinem Amtsantritt.