Im März des Vorjahres übernahm der heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz die ÖVP. Ein Jahr, eine Nationalratswahl und eine Regierungsbildung später nahm Kurz in der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung Platz und stellte sich den Fragen von Chefredakteur Hubert Patterer. Die Machübernahme in der Volkspartei sei damals kein „Unterwerfungsakt“ gewesen, beteuerte der Kanzler. Es sei schlicht die einzige Möglichkeit gewesen, wie die Partei funktionieren könne. „Das war sicherlich die beste Entscheidung.“

Heute sei es für ihn als Kanzler „ein täglicher Kampf“, Freiräume im eigenen Terminkalender zu finden. Dass die großen Vorhaben der neuen Regierung, die unter anderem sperrige Namen wie Sozialversicherungsreform und Arbeitszeitflexibilisierung tragen, für Gegenwind sorgen, werde ihn nicht vom Weg abbringen. „Die Arbeitszeitflexibilisierung wird noch dieses Jahr kommen“, verkündete Kurz. Auch dann, wenn es zu Streiks kommen sollte.

"Höchst unverantwortlich"

Im Gespräch über die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft ließ der Kanzler mit besorgten Worten zur aktuellen Regierungsbildung rund um den neuen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte in Italien aufhorchen. Das italienische Projekt könnte den Euro gefährden, erklärte der Kanzler, das Programm von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung sei „höchst unverantwortlich“. Europa könnte sogar in Richtung Griechenland gehen, warnte Kurz vor der Verschuldungspolitik. Damit schloss sich Kurz einigen anderen EU-Politikern an, die ähnliche Warnungen geäußert hatten.

Ausschließlich lobende Worte fand Kurz für den Koalitionspartner FPÖ. Bei früheren Regierungen habe er erlebt, dass „nichts weitergeht, weil man sich gegenseitig blockiert“. Mit der FPÖ sei das anders. Zudem lobte er die Bemühungen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), die Vergangenheit seiner Partei aufzuarbeiten. Angesprochen auf den neuen Chef des ORF-Stiftungsrates zeigte sich Kurz überrascht über die Aufregung. Selbst er als „politisch interessierter Mensch“ habe nicht gewusst, wer das Amt zuvor innehatte. Ein Seitenhieb auf den Rundfunk folgte wenig später: Der ORF übertrage Fragestunden aus dem Parlament, „das schaut halt auch niemand“.

"Irrsinnig schlamperter Mensch"

Im Gespräch mit Patterer offenbarte Kurz auch einige persönliche Details. Es fasziniere ihn, dass ihn viele für kontrolliert halten. „Dabei bin ich ein irrsinnig schlamperter Mensch, ich habe nur ein Umfeld, das das kaschiert.“ Abends sei er „ein Pickenbleiber. Am nächsten Tag steh’ ich dann schon auf, aber nur, weil ich muss", sagte er und lachte.

Viel Zeit in seiner Wohnung, in der er mit seiner Freundin lebt, bleibe ihm nicht, erklärte Kurz. „Und wie ist das?“, wollte der Chefredakteur wissen. „Wenn meine Freundin und ich auf Urlaub sind, wird sie irgendwann unrund und ist froh, wenn ich wieder ins Büro gehe.“ Seine Träume für die Zukunft gab der 31-Jährige nicht preis. Jetzt wolle er den Job „gut machen, und danach was anderes machen“.

Während der Kanzler der Kleinen Zeitung Rede und Antwort stand, flimmerte er auch über den TV-Bildschirm. Im aufgezeichneten und am Abend ausgestrahlten Puls 4-Sommergespräch verteidigte er die Reform der Sozialversicherungen, bei der man „keinen Millimeter vom Regierungsprogramm abgewichen“ sei. Bereits dort habe man eine Reduktion der Träger von 21 auf maximal fünf angekündigt. Von Kritik der Gewerkschaft zeigte er sich unbeeindruckt, „ich sehe keinen Grund, nachzuverhandeln“.