Die Telefone in Rom und Mailand klingelten heiß. Internationale Finanzinvestoren und Ratingagenturen riefen verunsichert in Italien an, um zu erfahren, wie ernst die Neuigkeiten zu nehmen seien, die aus den Verhandlungen über die Bildung einer neuen italienischen Regierung gedrungen waren. In Rom ringen dieser Tage Links- und Rechtspopulisten in einem letzten Anlauf um einen Koalitionsvertrag, dessen Inhalt weit über Italien hinaus Wirkung entfalten könnte. Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der EU, gilt wegen seiner großen Schuldenlast seit Jahren als Wackelkandidat. Ein Vertragsentwurf für die sich anbahnende Koalition zwischen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega, den die italienische Huffingtonpost am Dienstag veröffentlichte, gleicht in den Augen der internationalen Investoren einem finanzpolitischen Horrorszenario.

Es wäre die europafeindlichste Regierung, die Italien je hatte

Wie die Verhandler um Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und Lega-Sekretär Matteo Salvini versicherten, sei das Papier längst überholt. Schockierende Wirkung hatte es dennoch, da in dem Entwurf zu erkennen ist, dass die Verfasser kaum Rücksicht nehmen wollen auf Warnungen aus New York oder Brüssel. In dem Papier finden sich Passagen, in denen Italiens Austritt aus dem Euro als realistische Option angeführt wird. Diese Option widerriefen Di Maio und Salvini anschließend explizit. In dem Entwurf hieß es auch, die Europäische Zentralbank solle aufgefordert werden, italienische Staatsschulden in Höhe von 250 Milliarden Euro, also etwa elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zu tilgen. Einfach so, obwohl Staatsfinanzierung in der EU verboten ist. Neuverhandlung der EU-Haushaltsbeiträge und Erhöhung der Staatsverschuldung, auch diese Pläne hegen Italiens Populisten.

Tabubrüche sind darüber hinaus nicht nur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern auch in äußeren und inneren Angelegenheiten zu erwarten. So war in dem Entwurf auch die Rede von der Aufhebung der Sanktionen gegen Russland sowie von der Einführung eines neuen, mit Parteipolitikern der beiden Lager bestückten politischen Entscheidungsgremiums, das bei Uneinigkeit der Koalitionspartner verbindliche Entscheidungen fällen sollte. Kurzum: Niemand müsste sich wundern, wenn das nächste Erdbeben in der westlichen Tektonik demnächst von Rom ausgehen sollte.

Die wirtschaftlichen Warnsignale ließen am Mittwoch nicht lange auf sich warten. In Folge der Veröffentlichung des Vertragsentwurfs stieg der „Spread“ auf über 150 Punkte an, der Risikoaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen. Der wichtigste Index der Mailänder Börse verlor in Folge der Koalitionsverhandlungen 2,8 Prozent. „Rom öffnet seine Tore den modernen Barbaren“, titelte die Financial Times bereits vor Bekanntwerden des Papiers. Auch wenn einige der Vorhaben aus der angeblich überholten Version des Vertrages noch gestrichen würden - die Pläne einer von Links- und Rechtspopulisten getragenen Regierung in Italien könnten nach Ansicht vieler Beobachter explosive Wirkung haben.

Einmal steht die neue Regierung, dann wieder nicht

Der Mailänder Corriere della Sera beschrieb die Gespräche der Parteien als „Achterbahnfahrt“ und „Chaos“. Dazu tragen die vielen derzeit in Rom zu vernehmenden Stimmen bei. Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo, der inzwischen als „Garant“ seiner Bewegung wirkt und sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat, sprach sich in einem Interview mit der Zeitschrift Newsweek dennoch für ein Referendum über den Euro-Ausstieg Italiens aus. Vertrauensbildung sieht anders aus.
Seit Tagen verlaufen die Wasserstandsmeldungen zur Regierungsbildung im Zickzack-Kurs. Einmal heißt es, die Verhandlungen stünden kurz vor dem Platzen. Am Mittwoch zeigten sich Di Maio und Salvini wieder optimistisch. Fest steht, dass Italien seit dem 4. März ein neues Parlament, aber immer noch keine Regierung hat. Auch wenn in einigen Sachfragen Fortschritte erzielt wurden, konnten sich die systemkritische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte, fremdenfeindliche Lega bisher nicht auf einen gemeinsamen Ministerpräsidenten einigen. Übereinstimmung gibt es offenbar bei der Senkung des Pensionsantrittsalters und der Einführung eines „Bürgergehalts“ von 780 Euro monatlich für Arbeitslose. Diese Wahlkampf-Versprechen sollen unter anderem mit höheren Staatsschulden finanziert werden. Auch diese Maßnahmen stoßen wegen der hohen italienischen Staatsverschuldung von rund 2300 Milliarden Euro auf die Skepsis internationaler Beobachter.

Die Frage, was mit Italien passiert, wenn die Koalition trotz der Einigungsbemühungen von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega nicht zustande kommt, hält kein entspannteres Szenario bereit. Staatspräsident Mattarella müsste Neuwahlen ansetzen. Ob diese veränderte Kräfteverhältnisse hervorbringen und die Bildung einer Regierung erleichtern, ist unklar. Die Spekulationen, wie lange Italien unter diesen Umständen seine steigende Schuldenlast noch tragen kann, gehen unvermindert weiter.