Vor wenigen Monaten dachte man angesichts des Säbelrasselns zwischen Nordkorea und den USA, die Welt stehe am Rande des Atomkriegs. Jetzt wird auf einmal geredet, auf höchster Ebene. Für den heutigen als historisch eingestuften Gipfel der beiden Koreas wird Kim Jong-un als erster nordkoreanischer Machthaber seit 65 Jahren die Grenze überqueren. Südkoreas Präsident Moon empfängt ihn direkt an der Demarkationslinie.

Wie wahrscheinlich war der Atomkrieg, und was hat jetzt den Umschwung bewirkt?

Wie stabil ist das derzeitige Tauwetter einzuschätzen?

Die Erfahrung legt nahe, dass man beim Scheitern der Gespräche – wenn also eine Seite die Konditionen der anderen Seite nicht akzeptiert und den Dialog beendet – von einer Rückkehr zur Eskalation ausgehen muss. Derzeit überwiegt aber der Optimismus. Seit dem Rahmenabkommen von 1994 und dem ersten Gipfeltreffen der zwei Koreas im Juni 2000 hat die Lage nicht mehr so gut ausgesehen.

Die USA verlangen von Nordkorea die völlige Aufgabe des Atomprogramms. Ist das realistisch?

Nein, das ist es nicht. Der amerikanische Präsident redet ja überhaupt nur mit Nordkorea, weil es ein Atomwaffenprogramm hat. Nordkorea wird sich all die Mühe nicht gemacht haben, um jetzt plötzlich diese einzige Trumpfkarte einfach so aufzugeben. Hinzu kommt, dass Pjöngjang dem Westen und vor allem den USA nicht im Geringsten vertraut. Eine komplette Verschrottung der Atomwaffen wird man bestenfalls in der sehr fernen Zukunft in Aussicht stellen, mehr nicht. Was so ein Versprechen wert wäre, darüber darf man spekulieren. Für weit realistischer halte ich kurzfristig ein Einfrieren des Atomprogramms, eine Rückkehr zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und sogar die Zulassung internationaler Inspekteure in Nordkorea.

Ist Nordkoreas Behauptung, Atommacht zu sein, ein Bluff?

Angesichts der vielen Jahrzehnte der Forschung und Entwicklung und der sechs Atomtests wäre ich hier vorsichtig. Im Zweifelsfalle ist es wohl klüger, Nordkorea zu überschätzen, anstatt es zu unterschätzen.

Was will Kim erreichen?

Langfristig will er die Wiedervereinigung. Dabei will er führend sein, mindestens aber gleichberechtigt. Eine deutsche Lösung will er unbedingt vermeiden. Militärisch hat Nordkorea bereits den gewünschten Status erreicht, jetzt ist die Wirtschaft dran. Dafür braucht Kim starkes wirtschaftliches Wachstum. Dieses funktioniert derzeit nicht ohne Kooperation des Westens. Das inkludiert einen Abbau der Sanktionen, eine diplomatische Anerkennung Nordkoreas durch die USA und wohl auch durch Japan, die Öffnung westlicher Exportmärkte für nordkoreanische Produkte, die Beteiligung Nordkoreas am internationalen Finanzsystem, Direktinvestitionen westlicher Unternehmen in den über 20 nordkoreanischen Sonderwirtschaftszonen und vieles mehr.

Was ist vom koreanischen Gipfeltreffen zu erwarten?

Schöne Bilder und eine Reihe von zumindest dramatisch wirkenden Konzessionen beider Seiten. Die zwei Koreas brauchen einen hinreichend großen Erfolg, um sich gegen ein eventuelles Scheitern des Treffens mit den USA abzusichern oder dieses gar zu verhindern. In Washington könnte man ein solches Scheitern als Anlass für eine militärische Lösung nehmen, und die will niemand – Pjöngjang nicht, Seoul nicht, und Peking auch nicht. Kim und Moon sind zum Erfolg verpflichtet, und das wissen beide.

Gibt es eine echte Chance auf Frieden zwischen Süd- und Nordkorea?

Ja, wenngleich ein Friedensvertrag rechtlich gesehen mit den USA als Vertreter der UN zu schließen wäre. Südkorea ist offiziell keine kriegführende Partei, jedenfalls dann nicht, wenn man das Waffenstillstandsabkommen vom Juli 1953 als Grundlage nimmt.

In wenigen Wochen trifft sich auch Trump mit Kim. Ein richtiger Schritt? Oder „belohnt“ der US-Präsident damit, wie Kritiker sagen, Kim dafür, trotz aller Sanktionen am Atomprogramm festgehalten zu haben?

Die Idee, dass Gespräche eine Belohnung sind, ist bestenfalls dumm und schlimmstenfalls reine Demagogie. Gerade dann, wenn man mit jemandem ein Problem hat und eine Lösung finden möchte, dann muss man miteinander reden. Trump tut also das Richtige, wenn er sich mit Kim trifft. Das hat keiner seiner Vorgänger fertiggebracht. Die Belohnung käme dann eher in Form der zu vereinbarenden Konzessionen.

Was ist von diesem Treffen zu erwarten – und wann wäre es ein Erfolg?

Die Nordkoreaner haben Trump studiert und werden ihm eine Lösung anbieten, die ihm wie ein Sieg vorkommt und die er auch so vermarkten kann. Die Ankündigung, keine Tests mehr durchzuführen und eine Testanlage zu schließen, deutet in diese Richtung. Im Gegenzug werden sie von den USA eine Lockerung der Sanktionen und die diplomatische Anerkennung verlangen. Ein Erfolg wäre es aber schon, wenn Trump nach seiner Rückkehr nicht den Militäreinsatz befehlen würde, denn der Prozess zwischen den zwei Koreas läuft derzeit recht gut. Spannend wird das Treffen Kim/Trump dadurch, dass hier nicht – wie sonst üblich – lediglich Repräsentanten von Staatsapparaten am Tisch sitzen, sondern zwei Individuen mit einem großen Ego und weitgehend autonomer Entscheidungsfreiheit. Da sind auch Überraschungen möglich. Ich bin mir sicher, dass Nordkorea versuchen wird, China und die USA gegeneinander auszuspielen. Zum Beispiel könnte es zu diesem Zweck eine zeitweilige Abkehr Nordkoreas von der von Peking unterstützten Forderung nach einem amerikanischen Truppenabzug von der koreanischen Halbinsel geben.