In China ticken die Uhren anders. Schnell und langsam gleichzeitig. Vergangenes überholt die Zukunft, Speed trifft auf die Unendlichkeit. Mit Fünf- und Zehnjahresplänen, wie damals in der Planwirtschaft, rast das Reich der Mitte an die Spitze der Weltwirtschaft. Unerschütterlich hält es fest an Einmannherrschaft und „Sozialismus chinesischer Prägung“, und wird doch, wie Experten meinen, in nur wenigen Jahren als oberster Kapitalist in vielen Bereichen seine Konkurrenten überholt haben.

„Nichts kann uns stoppen“, postulierte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping beim letzten Volkskongress, als er in der Großen Halle des Volkes eine neue Ära ausrief – während ihm die Delegierten zugestanden, in Zukunft, wie einst Mao, unbegrenzt lange – auf Lebenszeit? – regieren zu dürfen. Kein Wunder, dass Christoph Ransmayr den Titelhelden seines letzten Romans nach China schickte, um für den Kaiser einen ewigen Chronometer zu bauen.

Aus aller Herren und Frauen Länder reist man derzeit nach Peking, um mit dem immer höher steigenden Drachen ins Geschäft zu kommen. Heute wird Österreich mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz vorstellig. Außenministerin Karin Kneissl, Umweltministerin Elisabeth Köstinger, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Infrastrukturminister Norbert Hofer werden die beiden Staatsspitzen begleiten – wie auch eine rund 250-köpfige Delegation, in der Unternehmer, Wissenschaftler und Kulturtreibende vertreten sind.

Rekord-Besuch

Es wird der größte Staatsbesuch in der Geschichte Österreichs; noch nie zuvor waren bei einem Auslandsbesuch so viele hochrangige Regierungsvertreter gemeinsam unterwegs. Eine Woche lang, während Sebastian Kurz unterwegs ist, wird FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die Regierungsgeschäfte in Wien übernehmen.

„Wir hoffen, dass verschiedene Abkommen zwischen chinesischen und österreichischen Firmen unterzeichnet werden können“, erklärte der Bundespräsident im Vorfeld. Die bilateralen Beziehungen sollen weiter ausgebaut werden. „China kann beim Umweltschutz oder Städtebau vom österreichischen Know-how profitieren“, ist Van der Bellen überzeugt. Auch im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele 2020 in Peking habe Österreich „viel zu bieten“.

Bundeskanzler Kurz, der aus terminlichen Gründen separat anreist, stößt ins selbe Horn. China biete mit einer Wachstumsrate von mehr als sechs Prozent großes Potenzial für die österreichische Wirtschaft. Der Staatsbesuch solle als Türöffner dienen.

Ton hat sich verschärft

Das China, das die Besucher aus Österreich erwartet, ist ein selbstbewusstes. Experten wie Bernhard Bartsch von der Bertelsmann-Stiftung verweisen darauf, dass seit den Mao-Jahren kein Staatsführer über so viel Einfluss verfügte wie Xi. Nach außen wie nach innen habe sich der Ton verschärft. „Wir sind entschlossen, den blutigen Kampf gegen unsere Feinde zu kämpfen“, postulierte Xi auf dem Volkskongress. Der Aufbau moderner Streitkräfte „von Weltklasse“ ist Führungsziel.

Der Parteiapparat sei gleichgeschaltet wie seit Jahren nicht mehr, erklärt der Sinologe. Das Wirtschaftswachstum sei zwar beachtlich, habe sich aber im Vergleich zu früher abgeschwächt. Das Versprechen, die Umweltverschmutzung und die Armut zu bekämpfen, habe die Regierung bisher nicht einlösen können. „Von außen sieht es aus, als könne sich China vor lauter Kraft kaum noch bewegen“, so Bartsch. „Im Inneren gibt es aber doch einigen Druck.“ Die kommunistische Führung sichert ihre Herrschaft heute unter anderem auch mittels eines „Bürgerbewertungssystems“, das alle Lebensbereiche umfasst.

Überwachung mit Gesichtserkennung

„Diese Form der umfassenden Überwachung, die auf den Möglichkeiten des Internets und digitaler Gesichtserkennung beruht, hat es in der Geschichte nie zuvor gegeben“, so Bartsch. 170 Millionen Kameras sind bereits im ganzen Land installiert. Bis 2020 sollen es 400 Millionen sein. Trotz der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich sei deshalb heute kaum mit größeren Protesten zu rechnen.

Der Zeitpunkt für den Staatsbesuch fällt günstig. Im Moment sei China, so Bartsch, noch darauf erpicht, die neuesten Technologien zu erhalten. „Doch Peking ist wild entschlossen, so bald wie möglich selbst Weltmarktführer in den Zukunftsbranchen zu sein.“ Wer jetzt, etwa im Bereich der E-Mobilität, in China nicht dabei sei, komme eventuell zu spät.

Neben Wirtschaftstreffen ist als politischer Höhepunkt der Reise der Österreicher am Sonntag ein Arbeitsgespräch und Staatsbankett mit Präsident Xi Jinping und seiner Frau geplant. Van der Bellen wird auch Menschenrechtsaktivisten treffen; er räumt ein, dass es in diesem Punkt unterschiedliche Auffassungen zwischen Österreich und China gebe.