Gut einen Monat nach dem Sieg von Emmanuel Macron bei der Präsidentenwahl stimmen die Franzosen heute über ihre Nationalversammlung ab. Für den sozialliberalen Staatschef geht es bei der Neuwahl der ersten Parlamentskammer um den nötigen Rückhalt für sein Reformprogramm. Umfragen zufolge hat Macrons Partei "La Republique en Marche" gute Chancen auf eine absolute Mehrheit.

Das endgültige Ergebnis wird erst nach der zweiten Wahlrunde in einer Woche feststehen. Um bereits im ersten Wahlgang gewählt zu werden, brauchen Kandidaten eine absolute Mehrheit in ihrem Wahlkreis, was nur die wenigsten schaffen. Die Wahllokale sind von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet, in großen Städten zwei Stunden länger. In jedem der 577 Wahlkreise wird ein Abgeordneter gewählt, in der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag reicht die einfache Mehrheit.

Meinungsforscher hatten Macrons Partei La Republique en Marche zuletzt klar vorn gesehen. In 577 Wahlkreisen wird jeweils ein Abgeordneter gewählt, insgesamt sind mehr als 47 Millionen Franzosen stimmberechtigt. In Umfragen lag Macrons Partei mit ihren Verbündeten zuletzt bei um die 30 Prozent.

Welle oder Tsunami?

Wegen des Mehrheitswahlrechts könnte das Macron-Lager damit nach Berechnungen des Instituts Ipsos sogar die Marke von 400 der 577 Abgeordnetenmandate knacken. "Welle oder Tsunami?", fragte die linksliberale Tageszeitung "Liberation" auf der Titelseite ihrer Samstagsausgabe. Allerdings sind Aussagen zur möglichen Sitzverteilung wegen des speziellen Wahlsystems schwierig. In den meisten Wahlkreisen dürfte die Entscheidung erst in einer Stichwahl in einer Woche fallen.

Den Sozialisten des vorherigen Präsidenten Francois Hollande droht bei der Wahl ein dramatischer Absturz. Und auch die Konservativen als zweite traditionelle Regierungspartei sind nach Umfragen in Bedrängnis. Macron hatte mit seiner erfolgreichen Präsidentschaftskandidatur in der politischen Mitte die französische Parteienlandschaft durcheinandergewirbelt. Er graste bei der Rekrutierung seiner Kandidaten in beider Parteien Revier.

Eine Frage des Spielraums

Mit einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung hätte er großen Spielraum für seine Gesetzespläne, die Frankreichs Wirtschaft neuen Schwung verschaffen sollen. Zentrales Vorhaben ist eine umstrittene Lockerung des Arbeitsrechts. Der Senat als zweite Parlamentskammer wird zwar von der bürgerlichen Rechten dominiert - dort gibt es aber durchaus Sympathien für Macrons Reformpläne, außerdem sitzt die Nationalversammlung im Gesetzgebungsverfahren letztlich am längeren Hebel.

Als Erste hatten bereits die im Ausland lebenden Franzosen ihre Stimme abgeben, in den elf Auslandswahlkreisen wurde schon am vergangenen Wochenende gewählt. Dabei hatten Macrons Kandidaten die Nase deutlich vorn.

Die Stunde der Wahrheit schlägt für Macron ab dem Tag nach der Wahl. Für einen Wahlerfolg reichte es, eine stattliche Zahl eifriger und entflammter Fans hinter sich zu versammlen und mit ihnen eine Partei zu formieren. Wie sich mangelnde Erfahrung und fehlende Netzwerke seiner Gefolgsleute auswirken, wenn es darum geht, in zähen Verhandlungen seinem Reformwerk im Parlament zum Durchbruch zu verhelfen, wird man erst sehen.