Neun Tage vor dem mit Spannung erwarteten Referendum in Großbritannien sind die Befürworter eines EU-Austritts im Aufwind. Bei Buchmachern wurde die Wahrscheinlichkeit für den sogenannten Brexit am Dienstag auf 45 Prozent geschätzt und damit so hoch wie nie zuvor. Zugleich erhielt die "Leave"-Kampagne für einen Austritt prominente Unterstützung.

Das Boulevard-Blatt "Sun" von Medienmogul Rupert Murdoch rief seine Leser dazu auf, für ein Verlassen der EU zu votieren. Großbritannien müsse sich "vom Diktat Brüssels" befreien. Die Zeitung hat eine tägliche Auflage von rund 1,7 Millionen Exemplaren.

"Es sieht ganz danach aus, als wäre es unvermeidlich, dass die Brexit-Befürworter am Wochenende in der Mehrheit sind", sagte ein Sprecher des Buchmachers William Hill. Auch Umfragen zeigten eine Dynamik bei den Brexit-Anhängern: Einer YouGov-Studie für die Zeitung "Times" zufolge würden die EU-Gegner derzeit sieben Prozent mehr Stimmen erhalten als die EU-Unterstützer. Bei einer Befragung für den "Daily Telegraph" fiel das Ergebnis knapper aus mit einem Prozentpunkt Vorsprung für das Brexit-Lager.

Beim Online-Wettanbieter Betfair lag die Brexit-Wahrscheinlichkeit bei 45 Prozent. Am Montag waren es noch 36 Prozent. Damit war sie bereits so hoch wie noch nie seit Ankündigung der Volksabstimmung vor rund vier Monaten. Allein seit Donnerstag ist die Quote um 23 Punkte gestiegen. Buchmacher können ihre Quote praktisch in Echtzeit anpassen, nicht zuletzt dank der Online-Wettbörsen. Sie sind dadurch schneller als die Meinungsforscher, die für ihre Prognosen Tausende Wähler anrufen müssen.

Das Referendum ist am 23. Juni angesetzt. Der Chef der Oppositionspartei Labour Party, Jeremy Corbyn, will sich stärker in den Wahlkampf einschalten. Er wird dabei argumentieren, dass die EU Arbeitsplätze sichert, wie aus im Voraus veröffentlichten Rede-Auszügen hervorgeht. Corbyn wurde zuletzt immer wieder vorgeworfen, zu wenig Engagement zu zeigen. Die Regierungspartei von Premierminister David Cameron ist entgegen der Pro-EU-Partei Labour Party tief gespalten bei der Frage, ob Großbritannien außerhalb oder innerhalb der EU besser aufgehoben ist. Cameron selbst wirbt allerdings für einen Verbleib.

Ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU würde nach Ansicht des britischen Verteidigungsministers die Sicherheit Westeuropas gefährden. "Kein Land hat jemals die NATO oder die Europäische Union verlassen", sagte Michael Fallon am Dienstag vor einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel. Ein solcher Schritt würde "eindeutig die Sicherheit Westeuropas schwächen". Fallon sprach zugleich von einem gefährlichen Moment in der Debatte über einen sogenannten Brexit. Er wies zudem britische Medienberichte zurück, wonach eine EU-Armee geplant sei. Gegen derartige Vorhaben würde die Regierung in London ohnehin ihr Veto einlegen.