Die Maßnahme betrifft zwar Abgeordnete aus allen vier Parteien im Parlament, richtet sich aber vor allem gegen die pro-kurdische HDP. Erdogan wirft den HDP-Abgeordneten vor, Sprachrohr der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Er hatte ausdrücklich dazu aufgerufen, ihre Immunität aufzuheben.

Ohne Immunität sind die Parlamentarier nicht mehr vor Strafverfolgung geschützt. Ihnen könnten auch Festnahmen drohen. Gegen die meisten Abgeordneten der HDP werden Terrorvorwürfe erhoben. Die Partei hat angekündigt, nicht mit der Justiz zu kooperieren, die aus ihrer Sicht unter Erdogans Einfluss steht. HDP-Abgeordnete befürchten, in Untersuchungshaft genommen zu werden.

Das Parlament hatte die Verfassungsänderung mit der nötigen Zweidrittelmehrheit am 20. Mai beschlossen. Die Regierungspartei AKP war dabei auch von Teilen der Opposition unterstützt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Aufhebung der Immunität von 138 der 550 Abgeordneten in der Nationalversammlung in Ankara beantragt gewesen. Fast die gesamte HDP-Fraktion mit ihren 59 Abgeordneten ist betroffen. Am Dienstag unterzeichnete Erdogan das Gesetz.

Ende vergangener Woche hatte das türkische Verfassungsgericht Beschwerden vor allem der HDP gegen eine Aufhebung der Immunität abgewiesen. Vor gut zwei Wochen hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit Erdogan in Istanbul gesagt, die Aufhebung der Immunität sei ein "Grund tiefer Besorgnis".

Die einmalige Aufhebung der Immunität der Abgeordneten geschieht über eine befristete Verfassungsänderung. Dafür wurde dieser Satz aus Artikel 83 ausgesetzt: "Ein Abgeordneter, der vor oder nach der Wahl eine Straftat begangen haben soll, darf nicht festgenommen, verhört, verhaftet oder vor Gericht gestellt werden, wenn die Versammlung nicht anderweitig entscheidet."

Ihr Mandat können die Abgeordneten erst bei einer letztinstanzlichen Verurteilung verlieren. Da es keine Nachrücker in der Türkei gibt, verliert dann auch die Partei den Sitz im Parlament. Sollten mindestens fünf Prozent der Sitze frei werden, was 28 Abgeordneten entspricht, muss nach der Verfassung in diesen Wahlbezirken nachgewählt werden. Kritiker werfen Erdogan vor, mit dem Schritt seine Macht weiter ausbauen zu wollen. Erdogan strebt für die Türkei ein Präsidialsystem mit sich selber an der Spitze an.