Nach der Ankündigung einer Volksabstimmung mit der Frage Ja oder Nein zu einem möglichen Sparprogramm durch Premier Alexis Tsipras haben sich vor den Bankomaten in Griechenland lange Schlangen gebildet. Wie Augenzeugen berichteten und Fernsehsender am Samstagmorgen zeigten, warteten am zentralen Athener Platz von Kolonaki fast 40 Menschen vor dem dortigen Geldautomaten der National Bank of Greece.

Auch in anderen Stadtteilen gab es ähnliche Bilder. Einige Bankomaten waren wegen des Ansturms leer, berichteten Augenzeugen. Viele Griechen fürchten, dass egal was das Ergebnis des Referendums sein werde, ein Austritt Griechenlands aus der Eurogruppe unabwendbar sei. Deshalb heben sie jetzt so viel Geld wie möglich ab.

Tsipras hatte zuvor erklärt, am 5. Juli ein Referendum über das Sparprogramm abzuhalten. Damit solle das Volk über den Streit um die Bedingungen für eine Rettung Griechenlands vor dem Bankrott entscheiden - und zwar "ohne jede Erpressung", wie Tsipras meinte. Er werde die Gläubiger bitten, das Ende Juni auslaufende Hilfspaket dafür um einige Tage zu verlängern.

Abstimmung soll verbindlich sein

Der 40-jährige Linkspolitiker versprach, sich an das Ergebnis der Abstimmung zu halten. Seiner Regierung sei von den Gläubigern ein Ultimatum gestellt worden, das unvereinbar sei mit den in Europa geltenden Prinzipien. Tsipras sprach von nicht tragbaren Belastungen für die Bürger, die die sozialen Ungleichgewichte noch verstärken würden.

Die Geldgeber wollen im Gegenzug für weitere Hilfen Strukturveränderungen durchsetzen, um die griechische Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. So soll sich auch die Budgetlage verbessern. Unter anderem werden Pensions- und Arbeitsmarktreformen sowie Steuererhöhungen verlangt.

Keine Einigung in Sicht

Im Laufe des Samstags wollen in Brüssel erneut die Euro-Finanzminister über die Schuldenkrise beraten. Eigentlich sollte bis Monatsende eine Einigung mit Griechenland gefunden und diese von den Euro-Mitgliedsländern abgesegnet werden. Das erscheint durch das spätere Referendum nun nicht mehr möglich.

Die Banken des Landes werden nach Einschätzung der Regierung in Athen am Montag dennoch wie gewohnt öffnen. Kapitalverkehrskontrollen seien nicht geplant. Experten gehen jedoch davon aus, dass diese noch nötig werden. Nächste Woche muss Griechenland 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) überweisen. Sollte Athen die Zahlung nicht leisten, dürfte die Verunsicherung der Bürger noch zunehmen. Die Griechen haben zuletzt bereits ihre Konten geräumt und insgesamt mehrere Milliarden abgehoben, weswegen die Banken auf Nothilfen angewiesen sind.

Das griechische Parlament soll noch am Samstag zusammenkommen, um Grünes Licht für das Referendum zu geben. Aus der Tsipras-Regierung kamen zahlreiche Stimmen, gegen die Reformen zu votieren. Der Fraktionschef der Syriza-Partei, Nikos Filis, sagte, das Ultimatum der Gläubiger müsse zurückgewiesen werden. Staatsminister Nikos Pappas geht davon aus, dass sich das Volk gegen die Auflagen aussprechen wird. Ähnliche Meinungen kamen auch vom rechtspopulistischen Koalitionspartner der Syriza, der Partei der Unabhängigen Griechen (Anel).

Umstrittene Reformen

Bei zahlreichen Ökonomen sind die Reformen ebenfalls umstritten. Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen seien "kontraproduktiv für das Wachstum in Griechenland", sagte etwa der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger der "Rheinischen Post" (Samstag-Ausgabe). Mittelfristig müsse es ein Programm für mehr Wachstum geben.

Kritisch äußerte sich die Opposition in Athen. "Tsipras hat das Land in eine Sackgasse geführt", sagte der frühere konservative Ministerpräsident Antonis Samaras. Jetzt gebe es nur noch die Wahl zwischen einem schlechten Deal mit den Geldgebern und einem Euro-Ausscheiden. Beim Referendum gehe es damit um ein "Ja" oder "Nein" zu Europa, so der Oppositionschef. Die sozialistische PASOK forderte Tsipras zum Rücktritt auf.

Tsipras habe am frühen Samstag bereits mit EZB-Präsident Mario Draghi gesprochen, sagte ein Regierungssprecher in Athen. Dieser habe mit "Verständnis und Sensibilität" auf die Ankündigung reagiert.

Die Euro-Finanzminister wollen sich am Samstag mit der griechischen Regierung auf ein Reform- und Sparpaket einigen. Nach Angaben von EU-Diplomaten werden die Finanzminister auch über einen "Plan B" diskutieren, wenn es bis Samstagabend nicht zu einer Einigung kommt. Damit wird üblicherweise eine Pleite oder ein Euro-Austritt Griechenlands umschrieben. Der irische Finanzminister Michael Noonan hatte schon bei einem Eurogruppen-Treffen vor wenigen Tagen gesagt: "Die Option lautet, Plan B vorzubereiten."

Selbst wenn es eine Einigung geben sollte, ist der Zeitplan für die Rettung Griechenlands durch die Ankündigung des Referendums de facto allerdings nicht mehr zu halten. Nach einer offiziellen Billigung der Euro-Finanzminister hätte Tsipras nach der ursprünglichen Planung noch bis Montag erste Sparmaßnahmen durch sein Parlament bringen müssen. Anschließend wäre noch die Zustimmung nationaler Parlamente in mehreren Euroländern erforderlich.

Dies alles hätte theoretisch bis Dienstagabend gelingen können - dem Tag, an dem Athen spätestens neues Geld braucht. Durch das Referendum erst am 5. Juli ist eine Abarbeitung aller notwendiger Schritte bis Dienstagabend aber de facto nicht mehr zu schaffen. Tsipras kündigte deshalb an, er wolle bei den Geldgebern um einen Aufschub von "einigen Tagen" bitten - "damit das griechische Volk seine Entscheidung treffen kann".