Im Kampfgebiet in Gefangenschaft Geratene und auch Freiwillige, die sich um die Rettung von Verletzten gekümmert haben, kehren in ihre ukrainischen Heimatregionen zurück und erzählen von den Geschehnissen den vergangenen Wochen. Endgültige Zahlen zu in und um Debalzewe Gefallenen, so vermuten Beobachter, werden noch länger auf sich warten lassen.

"Wir haben sehr lange gewartet, gebetet und gehofft, und nun ist er da und fährt zu unseren drei Kindern nach Hause", freute sich Anna Prozenko am Montagabend. Sie umarmte ihren äußerst erschöpft wirkenden Ehemann Aleksandr, der soeben aus der Gefangenschaft in der "Volksrepublik Luhansk" nach Cherson heimgekehrt war. Mitbürger und Lokalpolitiker hatten ihn und einen weiteren Heimkehrer am Hauptplatz der südukrainischen Stadt freudig in Empfang genommen.

Aleksandr war, so erzählt er, am 17. Februar in einem östlichen Vorort Debalzewes von Einheiten der "Volksrepublik Luhansk" gefangen genommen worden und in der "Kommandatur" in Luhansk festgehalten worden. Wer, so fragt ein Passant, habe denn dort Befehle gegeben? "Ich habe nicht nach seinem Pass gefragt. Hätte ich fragen müssen? Das nächste Mal nehme ich dich dorthin mit", reagiert der ehemalige Gefangene sichtlich erzürnt.

"Es wurde weiter geschossen"

Der Waffenstillstand, der offiziell um 00.00 Uhr am 15. Februar in Kraft getreten war, sei an Ort und Stelle nicht eingehalten worden, sagt der Soldat: "Vielleicht haben sie 15 Minuten Pause gemacht. Dann wurde weiter geschossen." 70 "Kosaken" (ein Verband der "Volksrepublik Luhansk", Anm.) seien anschließend im Debalzewe-Vorort Oktjabrski einmarschiert, erklärt er, seine dort stationierte Einheit habe zu diesem Zeitpunkt nur noch zwischen 40 und 50 Soldaten umfasst. Prozenko berichtet von zahlreichen Gefallenen auf der ukrainischen Seite: "Dort, wo ich war, gab es seit dem 22. Jänner etwa jeden zweiten Tag einen Toten und ein bis zwei Verletzte."

"Bei den Kämpfen um Debalzewe gab es auf ukrainischer Seite kaum klassische Schusswunden, sondern vor allem Verletzungen durch Splitter, Minenexplosionen und schwere Verbrennungen", berichtet der Arzt Kirill Tschumarin gegenüber der APA. Der Chirurg aus Cherson hatte während der Kesselschlacht von Debalzewe und auch danach schwerverletzte Soldaten aus dem unmittelbaren Kriegsgebiet evakuiert und war zu Wochenbeginn in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Wie viele andere Freiwillige hatte er sich eigens für diesen Einsatz Urlaub genommen, Aktivisten in Cherson hatten für diese Mission zuvor ein Rettungsauto organisiert.

Die wirklichen Zahlen der Gefallenen werde man hingegen erst in einigen Monaten erfahren, sagt Tschumarin: "Viele Tote wurden noch nicht geborgen, und sie gelten derzeit noch als vermisst."

Der russische Militärexperte Wiktor Murachowski spricht von 300 Gefallenen aufseiten der "Volkswehren" (Verbände der selbstdeklarierten "Volksrepubliken", Anm.) und bis zu 400 Toten auf ukrainischer Seite. Kiew nannte zuletzt deutlich niedrigere Opferzahlen. Verteidigungsminister Stepan Poltorak hatte am Samstag gegenüber der APA von lediglich 20 Toten in der letzten Phase der Kampfhandlungen gesprochen, über die Gesamtzahl der Gefallenen in und um Debalzewe hatte er jedoch keine Angaben machen wollen.

HERWIG HÖLLER/APA