Im Streit um die Besetzung des EU-Kommissionspräsidenten kommt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Briten entgegen. Merkel stellte Großbritannien vor dem EU-Gipfel am Donnerstag inhaltliche Zugeständnisse in Aussicht - etwa bei der weiteren Ausrichtung der europäischen Politik in den kommenden Jahren. Damit will sie den Briten Jean-Claude Juncker als Kommissionschef schmackhaft machen.
Der britische Premier David Cameron hält Juncker für ungeeignet für den Posten. Merkel setzt bei inhaltlichen Fragen auf ein "hohes Maß an Gemeinsamkeit" mit den Briten: "Ich denke, hier können wir mit Großbritannien sehr gute Kompromisse finden und auch ein Stück auf Großbritannien zugehen", sagte Merkel beim Spitzentreffen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im belgischen Kortrijk.
Beim EU-Gipfel am Freitag wollen Europas Staats- und Regierungschefs den früheren luxemburgischen Premierminister Juncker als künftigen Präsidenten der EU-Kommission nominieren. David Cameron hat signalisiert, eine formelle Abstimmung beim Gipfel zu beantragen. Solch eine Kampfabstimmung ist einmalig, bisher wurden Kommissionschefs einvernehmlich nominiert.
Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann erwartet keinen Schaden für die EU, wenn Cameron bei der Nominierung von Juncker überstimmt wird. "Es ist möglich, dass da jemand dagegen stimmt, ohne dass die Europäische Union Schaden nimmt", sagte Faymann. "Sollte eine Mehrheitsentscheidung notwendig sein, sollte man das nicht aufgeregt interpretieren. Eine Mehrheitsentscheidung ist hier durchaus vorgesehen, es heißt mit qualifizierter Mehrheit", sagte Faymann in Hinblick auf das im EU-Vertrag vorgesehene Prozedere zur Nominierung des EU-Kommissionspräsidenten.
Merkel erinnerte daran, dass für die Nominierung keine Einstimmigkeit notwendig sei: "Ich halte es für kein Drama, wenn die Abstimmung in diesem Fall nicht einstimmig ist." Wichtiger sei Übereinstimmung in inhaltlichen Fragen über den künftigen Kurs Europas. "Wenn wir morgen Klarheit über die nächsten fünf Jahre und über die notwendigen Inhalte wie Wachstum, Haushaltskonsolidierung und (...) Arbeitsplätze haben, dann werden wir auch die Entscheidung über den künftigen Kommissionspräsidenten treffen", sagte Merkel.
Bei einem Abendessen am Donnerstag wollen die Staats- und Regierungschefs über die strategische Ausrichtung der Union bis 2019 beraten. Dies bildet das Arbeitsprogramm für den neuen EU-Kommissionspräsidenten. Der konservative Juncker war bei den Europawahlen Ende Mai als stärkster Bewerber für dieses Amt hervorgegangen. Seine Partei EVP wurde die stärkste politische Kraft.
Das zweitägige EU-Gipfeltreffen begann am Donnerstag im flämischen Ypern mit einer Gedenkfeier an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Dort starben während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 etwa eine halbe Million Soldaten.
Über weitere EU-Spitzenpersonalien soll voraussichtlich ein Sondergipfel am 17. Juli entscheiden. Dabei geht es um die Nachfolge der Außenbeauftragten Catherine Ashton und des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. An der Seite von Cameron dürfte auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban gegen Juncker stimmen. Dagegen bekommt Juncker nun Unterstützung vom schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt.