Tausende Türkei-Flaggen, laute Rufe und großes Gedränge - der Besuch des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag in Wien hat bei seinen Anhängern in der Albert-Schultz-Halle und bei der Live-Übertragung davor große Euphorie ausgelöst. Das stundenlange Warten bis zu Erdogans Auftritt gegen 16.00 Uhr tat der ausgelassenen Volksfeststimmung in Kagran keinen Abbruch.
Mit politischen Erdogan-Liedern in türkischem Popmusik-Stil und einem Lied, dessen Refrain "Recep Tayyip Erdogan" lautete, wurden die Massen bei Laune gehalten. Lauthals stimmten sie immer wieder aufs Neue in den Refrain mit ein. In der Halle waren laut Polizeisprecher Roman Hahslinger 7.500 Menschen, beim Public Viewing vor der Halle 6.000.
Kritik gab es von Erdogan auch an den anderen Parteien in der Türkei und insbesondere an früheren Regierungen, die kopftuchtragende Frauen diskriminiert und islamische Menschen benachteiligt hätten. Passend dazu sagte ein Verehrer des türkischen Premiers der APA: "Er hat Demokratie gebracht, die Türkei ist demokratischer denn je."
Erdogan pries in seiner Rede die wirtschaftliche und politische Stärke der Türkei. Für Europa sei die Türkei eine Chance, die man nicht auslassen dürfe, so Erdogan, der am Ende ausdrücklich an die Präsidentenwahl im August erinnerte und hofft, dass der noch zu nominierende AKP-Kandidat aus Wien viele Stimmen erhält.
Der Premier widmete einen breiten Teil seiner Rede dem wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes. Von der sinkenden Verschuldung und Inflation über den Ausbau der Eisenbahn und den geplanten Großprojekten in Istanbul mit dem Großflughafen und Brücke über den Bosporus bis hin zu drei Milliarden Bäumen, die gepflanzt worden seien.
Gegen Erdogans Auftritt waren zwei Demonstrationen angemeldet. Zum Protestmarsch von der Venediger Au beim Wiener Praterstern über die Wagramer Straße bis zur Siebeckstraße hatten bis zu 40 türkische und österreichische Vereine mobilisiert. Ab 13.00 versammelten sich die Demonstranten und marschierten gegen 15.00 Uhr in Richtung Siebeckstraße nahe der Albert-Schultz-Halle los. Gegen 17.15 Uhr erreichte die Gegendemo den Platz der Abschlusskundgebung nahe der U1-Station Kagran.
Laut Polizeiangaben nahmen insgesamt rund 7.850 Menschen an der Gegenveranstaltung teil. Kurz bevor die Menge ihr Ziel erreicht hatte, skandierte sie "Tayyip, du Mörder" und "Erdogan Faschist".
Eine österreichische Armenierin mit irakischen Wurzeln sagte der APA, sie sei aus Solidarität mit den in der Türkei unterdrückten Minderheiten zur Protestveranstaltung gekommen. "Zum Beispiel dürfen Armenier in der Türkei keinen armenischen Namen haben, sie dürfen auch ihre Religion nicht sichtbar ausleben", sagte sie.
"Erdogan halt dein verlogenes Maul. Du Mörder, Tyrann, Dieb, Lügner, Terrorist", stand auf einem der zahlreichen Schilder und Transparente zu lesen. "Erdogan hat in Europa nichts verloren. Er soll den Wahlkampf zuhause führen", sagte eine weitere Teilnehmerin, die das Schild vor sich hertrug. Andere Demonstranten kritisieren vor allem die Gesellschafts- und Medienpolitik des türkischen Premiers.
Bei jener der beiden Gegendemonstrationen kam es am Donnerstagnachmittag zu Tumulten. Wie ein APA-Kameramann berichtete, setzte die Polizei auf der Lasallestraße Pfefferspray ein, um die Zusammenstöße zwischen den Protestierenden zu beenden. Grund für das "kurze Gerangel" war laut Polizeisprecher Roman Hahslinger eine Flasche, die aus einem Lokal in der Lasallestraße auf dem Demonstrationszug geworfen wurde. Hahslinger bestätigte zudem den Einsatz der Polizei-Sondereinheit WEGA. Laut Hahslinger sei ein Polizist bei dem Zwischenfall leicht verletzt worden, der Flaschenwerfer wurde festgenommen. Kurz danach beruhigte sich die Situation wieder.
Nach Ende der Gegendemo gegen 18.00 Uhr kam es neuerlich zu Tumulten: Etwa 300 Meter entfernt von der Abschlusskundgebung - hinter einem Großaufgebot an Polizei - hatten sich Anhänger Erdogans unter der U-Bahnbrücke der U1 in Kagran versammelt. Gegner und Anhänger Erdogans erblickten einander, riefen einander aggressiv zu und erhoben ihre Fäuste. Zunächst blieb die Lage angespannt, aber ohne Zwischenfälle. Nach der offiziellen Beendigung der Gegendemo trafen laut Hahslinger einzelne Gruppierungen der gegnerischen Lager beim Abströmen aufeinander. Es kam zu Auseinandersetzungen entlang der Wagramer Straße und angrenzenden Straßenzügen, so Hahslinger. Insgesamt wurden 14 Personen festgenommen - darunter einige von beiden Lagern, sowie Außenstehende, die beim Gerangel mitgemischt hatten. Mit 19.30 Uhr hat sich die Lage laut Hahslinger auch dort - "mit einem normalen Straßenbild" - wieder zur Gänze beruhigt.
Am weitaus kleineren Demonstrationszug nahmen laut Hahslinger rund 350 Personen teil. Sie hatten sich in der Operngasse versammelt und brachen gegen 14.00 Uhr Richtung Sigmund-Freud-Park bei der Votivkirche auf. Hier hatte der Verein zur Förderung des Gedankenguts von Kemal Atatürk zum Protest aufgerufen. "Ohne Vorfälle" ist diese Demo laut Hahslinger verlaufen.
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte sich unterdessen erneut kritisch zum Besuch Erdogans geäußert. Noch während der Rede des türkischen Premier, beurteilte Kurz am Donnerstagnachmittag die aus der Halle übertragenen Bilder vor Journalisten: "Die zeigen ganz klar, dass der türkische Premier den Wahlkampf in unser Land getragen hat und dadurch auch für Unruhe gesorgt hat." "Das lehnen wir ab", fügte der Außenminister hinzu. "Und ich kann nur sagen, Respekt vor dem Gastland schaut eindeutig anders aus."